VGH BW zur Bewertung der charakterlichen Eignung bei Postings in Sozialen Medien
04.08.2020
Leitsatz: Wird die Entlassung eines Widerrufsbeamten auf die fehlende charakterliche Eignung wegen Postings auf einem Instagram-Account gestützt, setzt der Rückschluss auf die innere Einstellung des Beamten eine Gesamtwürdigung seines Verhaltens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls voraus; anders als bei Tätowierungen kommt es bei der Würdigung der Postings nicht vorrangig auf deren Wirkung auf Andere an.
Sachverhalt (Auszug RN2): Der 1996 geborene Antragsteller stand seit September 2018 als Polizeimeisteranwärter im Dienst des Antragsgegners und absolvierte seine Ausbildung bei der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg (im Folgenden: Hochschule). Mit Verfügung vom 23.10.2019 entließ der Präsident der Hochschule den Antragsteller wegen Zweifel an dessen charakterlicher Eignung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ablauf des 31.12.2019 und ordnete die sofortige Vollziehung der Entscheidung an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen wie folgt aus: Aus verschiedenen Veröffentlichungen des Antragstellers auf seinem privaten, aber öffentlich einsehbaren Instagram-Account im Frühjahr 2019 sowie aus einem nach § 47 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 2 JGG eingestellten Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung aus dem Jahr 2012 gehe hervor, dass berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers bestünden.
RN7: „Die Beurteilung der charakterlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis. Der dem Dienstherrn bei der Ausfüllung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der charakterlichen Eignung eingeräumte Beurteilungsspielraum führt dazu, dass die hierauf beruhende Entscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann und zwar darauf, ob der gesetzliche Begriff der persönlichen Eignung oder die gesetzlichen Grenzen der Beurteilungsermächtigung verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt worden sind (vgl. Senatsbeschluss vom 30.09.2019 - 4 S 2577/19 -, Juris Rn. 6).“
RN8: „Bei der charakterlichen Nichteignung geht es um innere Tatsachen, deren Feststellung naturgemäß mit Schwierigkeiten verbunden ist. Wie eine Beamtin bzw. ein Beamter auf Anfechtungen, Belastungen, Herausforderungen und Versuchungen voraussichtlich reagieren wird, lässt sich selten genug mit Gewissheit vorhersagen, sodass es zumeist darauf ankommen wird, ob und mit welcher Überzeugungskraft äußere Tatsachen den Schluss auf negative innere Tatsachen zulassen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.07.2019 - OVG 4 S 20.19 -, Juris Rn. 10 f.).“
Auszug RN17: „Zwar genügen nach der Rechtsprechung des Senats bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde, ob der Beamte die persönliche oder fachliche Eignung für ein Amt in der angestrebten Laufbahn besitzt (so zuletzt Senatsbeschluss vom 19.05.2020 - 4 S 3078/19 - mit Verweis auf Bay. VGH, Beschluss vom 30.08.2019 - 3 ZB 18.508 -, Juris Rn. 7 ff. und OVG Bremen, Beschluss vom 13.07.2018 - 2 B 174/18 -, Juris Rn. 8 f., jeweils m.w.N. und unter Verweis u.a. auf BVerwG, Urteil vom 09.06.1981 - BVerwG 2 C 48.78 -, Juris). Dass die Feststellung innerer Tatsachen regelmäßig mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, bedeutet jedoch nicht, dass Zweifel an der charakterlichen Eignung allein aufgrund der Würdigung des Verhaltens eines Beamten durch Dritte - hier der Postings durch andere Internetnutzer - angenommen werden könnten. Der Rückschluss von den internetbasierten Bekundungen des Antragstellers auf seine innere Einstellung setzt vielmehr eine Gesamtwürdigung seines Verhaltens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls voraus. Die Entlassung des Antragstellers kommt daher nur in Betracht, wenn der Inhalt der Veröffentlichungen Ausdruck einer inneren Einstellung ist, die Zweifel an der charakterlichen Eignung begründen.“
In Sachen Abgrenzung zu einer Tätowierung, RN18: „Der vom Antragsgegner herangezogene Beurteilungsmaßstab erweist sich auch nicht aufgrund eines Vergleichs zu denjenigen Fällen, die der Rechtsprechung des Senats bezogen auf Tätowierungen zugrunde lagen, als rechtmäßig. Denn das Veröffentlichen bzw. Teilen von Musikstücken in einem sozialen Netzwerk ist mit dem Tragen eines Tattoos nicht hinreichend vergleichbar: Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es bei Tätowierungen grundsätzlich nicht auf das persönliche Motiv bzw. die Phantasie des Trägers an, sondern vor allem auf die Wirkung des Tattoos auf andere. Der Körper wird bei einer Tätowierung bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt; mit dem Tragen einer Tätowierung erfolgt eine nach außen gerichtete und dokumentierte Mitteilung durch deren Träger über sich selbst; ihr kommt im Falle der Tätowierung sogar ein besonderer Stellenwert zu, weil das - wohl reiflich überlegte - Motiv in die Haut eingestochen wird und der Träger sich damit dauerhaft und in besonders intensiver Weise bekennt (vgl. Senatsbeschluss vom 12.07.2018 - 4 S 1439/18 -, Juris Rn. 2).“ und Auszug RN19: „Ein Posting kann aufgrund der Flüchtigkeit und Häufigkeit der internetbasierten Kommunikation nicht mit einem regelmäßig dauerhaft getragenen Tattoo verglichen werden. Mit anderen Worten haftet ein Posting nicht in ähnlich enger und charakteristischer Weise an dem Beamten wie ein Tattoo. Es bleibt daher bei dem Maßstab, wonach der Rückschluss von den Aktivitäten des Antragstellers auf seine innere Einstellung eine Gesamtwürdigung seines Verhaltens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (…)“
Externer Link:
- VGH Mannheim, Beschluss im Volltext