VG Stuttgart zu den Voraussetzungen der Versetzung in den Ruhestand eines Beamten wegen dauernder Dienstunfähigkeit bei langfristigen, krankheitsbedingten Fehlzeiten

28.05.2020

VG S, Urteil vom 28.05.2020, Az. 14 K 10349/18. Schlagworte: Dienstunfähigkeit, Amtsarzt, Polizeiarzt, Ruhestand.
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Der Leitsatz ist wenig hilfreich (entspricht der Überschrift). 

Auszug dem Urteil 

RN36: Die Versetzung in den Ruhestand wurde auf § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG i.V.m. § 43 Abs. 1 LBG gestützt. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Der Begriff der Dienstunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, Urteil vom 05.06.2014 - 2 C 22.13 -, juris). Maßstab ist das funktionelle Amt im abstrakten Sinne bei einer bestimmten Behörde ohne Beschränkung auf einen bestimmten Dienstposten (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.2009 - 2 C 73.08 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.09.2018 - 4 S 142/18 -, juris Rn. 66 m.w.N.). Dienstunfähigkeit im Sinne der Vorschrift setzt voraus, dass das dauernde Unvermögen des Beamten, seine Dienstleistungspflicht zu erfüllen, auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung beruht. Dabei ist unerheblich, auf welchen Ursachen die gesundheitliche Beeinträchtigung des Beamten zurückzuführen ist. Abzustellen ist allein auf den kausalen Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung als Ursache und der dauernden Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten als Wirkung. Die Umstände, die zu der gesundheitlichen Beeinträchtigung geführt haben, sind nicht zu berücksichtigen, selbst wenn den Dienstherrn daran eine (Mit-)Verantwortung treffen sollte (BVerwG, Beschluss vom 16.04.2020 - 2 B 5.19 -, juris, Rn. 9). Sinn und Zweck der Zurruhesetzungsregelungen ist es, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten. Daraus folgt, dass die Frage der Dienstunfähigkeit ausschließlich an objektiven Kriterien zu bemessen ist. Angesichts des Regelungszwecks ist für die Berücksichtigung subjektiver Elemente wie etwa ein eventuell fürsorgepflichtwidriges Verhalten des Dienstherrn kein Raum (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.02.2020 - 4 S 807/19 -, juris, Rn. 21). Für die Auslegung des Merkmals „dauernd“ im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG ist als zeitliches Maß der Zukunftsprognose der Sechs-Monats-Zeitraum aus der landesrechtlichen Bestimmung des § 43 Abs. 1 LBG heranzuziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.04.2020 - 2 B 5.19 -, juris, Rn. 15). 

RN37: Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist von weiteren sechs Monaten die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 43 Abs. 1 LBG). Diese Beurteilung bedarf einer anhand tatsächlicher Umstände zu treffenden Prognose, dass innerhalb von sechs Monaten nicht mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit gerechnet werden kann. Nicht erforderlich ist, dass die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit mit absoluter Gewissheit ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2010 - RiZ (R) 2/10 -, juris, Rn. 23). 

RN38: Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitlichen Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies setzt in der Regel medizinische Sachkunde voraus, über die nur ein Arzt verfügt. Ein ärztliches Gutachten muss, um Grundlage für eine vorzeitige Zurruhesetzung zu sein, die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes dauernd unfähig ist. Es muss nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Aufgabe des Arztes ist es (lediglich), den Gesundheitszustand des Beamten festzustellen und medizinisch zu bewerten; hieraus die Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen, ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. In diesem Zusammenhang kommt einer amtsärztlichen Stellungnahme als neutrale, unabhängige, in Distanz zu beiden Beteiligten stehende Einschätzung im Verhältnis zu privatärztlichen Attesten eine vorrangige Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2017 - 2 A 5.16 -, juris, Rn. 22 ff.). Da die Beurteilung einen speziellen zusätzlichen Sachverstand voraussetzt, der einerseits auf der Kenntnis der Belange der öffentlichen Verwaltung, andererseits auf der Erfahrung aus einer Vielzahl von gleich oder ähnlich liegenden Fällen beruht, steht die Bewertung, ob und wann eine Störung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit beeinträchtigt, vorrangig dem Amtsarzt zu (BVerwG, Urteil vom 11.04.2000 – 1 D 1.99 -, juris, Rn. 16). 

RN39: Der Begriff der Dienstunfähigkeit stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht allein auf die Person des Beamten ab. Vielmehr sind die Auswirkungen seiner Erkrankung oder Gebrechen auf seine Fähigkeit, die ihm in seinem konkreten Amt obliegenden Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb entscheidend. Es kommt dabei nicht allein und ausschlaggebend auf Art und Ausmaß der einzelnen Gebrechen, den objektiven ärztlichen Befund und dessen medizinische Qualifikation als solche an, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte aufgrund seiner gesamten Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7/97 -, juris, Rn. 15). 

RN40: Dienstunfähigkeit liegt mithin auch dann vor, wenn es dem Dienstherrn nicht mehr zugemutet werden kann, einen Beamten im Dienst zu belassen, dessen häufige oder lang andauernden krankheitsbedingten Fehlzeiten den Dienstbetrieb nachhaltig beeinträchtigen. Dies ist dann der Fall, wenn eine Prognose ergibt, dass auch künftig mit überdurchschnittlichen Fehlzeiten des Beamten gerechnet werden muss, die es nicht zulassen, ihn bei der Festlegung der Betriebsabläufe einzuplanen. Auch aus einer Vielzahl von in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder auftretenden, wenn auch teilweise unterschiedlichen und für sich betrachtet nicht schwerwiegenden Erkrankungen von längerer Dauer kann auf eine Schwäche der gesamten Konstitution und auf eine damit verbundene erhöhte Anfälligkeit des Beamten geschlossen werden und dadurch eine dauernde Dienstunfähigkeit anzunehmen sein, sofern eine Besserung dieses Zustandes in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.04.2012 – OVG 6 B 5.12 -, juris, Rn. 23). 

RN47: Nach § 53 Abs. 1 Satz 2 LBG kann die Dienstunfähigkeit als amtsärztlich festgestellt angenommen werden, wenn sich der Beamte trotz schriftlicher Aufforderung seiner aus Satz 2 der Norm folgenden Verpflichtung, sich bei Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen, entzieht, ohne hierfür einen hinreichenden Grund nachzuweisen. Auf diese Rechtsfolge ist gem. § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG in der Aufforderung hinzuweisen. Die gesetzliche Vermutung kann nur dann greifen, wenn die Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012 - 2 C 7/11 -, juris, Rn. 14). Einer Untersuchungsanordnung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen. Daher ist die Behörde grundsätzlich verpflichtet, diese tatsächlichen Umstände in der Untersuchungsaufforderung angeben. Der Beamte muss anhand der Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 - 2 C 68/11 -, juris, Rn. 19 f.). Für die Fallgestaltung langdauernder, krankheitsbedingter Ausfallzeiten, bei denen auf Seiten des Dienstherrn in der Regel keine weiteren Erkenntnisse über die zugrundeliegende Erkrankung vorliegen, gelten diese zu Fällen der Untersuchungsanordnung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG entwickelten besonderen Begründungsanforderungen jedoch nicht. Die Untersuchungsanordnung muss deshalb keine Angabe von über die Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten hinausgehenden Gründen für die Untersuchung enthalten. Der Dienstherr muss insbesondere in der Untersuchungsanordnung nicht darlegen, dass und warum die zugrundeliegenden Erkrankungen Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten begründen. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen keine Angaben zu den Gründen der Dienstunfähigkeit enthalten, ist ihm dies regelmäßig nicht möglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.03.2019 - 2 VR 5.18 -, juris Rn. 47). 

 

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