Über 700 Menschen werden täglich Opfer von häuslicher Gewalt
10.06.2024
Nun wurde in der vergangenen Woche vom Bundeskriminalamt das Bundeslagebild „Häusliche Gewalt“ für das Jahr 2023 vorgestellt und auch nach dem Ende der Corona-Pandemie ist erneut ein Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. 256.276 Menschen waren 2023 von häuslicher Gewalt betroffen. Das sind 6,5 % mehr, als noch im Jahr 2022. Die Sprecherin des Fachbereichs „Chancengleichheit, Frauen und Familie“ im Bundesvorstand des BDK, Doris Christians sagt dazu:
„Der Anstieg der Fallzahlen bedeutet zum Einen, dass bei Betroffenen die Bereitschaft gestiegen ist, die Gewalt, die sie erfahren haben zur Anzeige zu bringen. Das ist gut. Zum Anderen bedeuten die Zahlen aber auch, dass in unserem Land an jedem einzelnen Tag mehr als 700 Menschen Opfer häuslicher Gewalt werden. 70,5% aller Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen und im Bereich der Partnerschaftsgewalt sind sogar 79,2% der Betroffenen Frauen. Wenn wir bedenken, dass wir mit diesen Zahlen immer nur das Hellfeld betrachten, haben wir hier eine Situation, die im 75. Jahr des Grundgesetzes und somit der Gleichberechtigung von Frauen und Männer unakzeptabel ist. Der Staat hat die Aufgabe Frauen, Kinder und Männer vor Gewalt zu schützen. Die erforderlichen Maßnahmen im Kontext häuslicher Gewalt lassen auf sich warten."
Die Auswirkungen häuslicher Gewalt sind tiefgreifend und vielfältig. Sie führt zu physischen Verletzungen, die von leichten bis zu lebensbedrohlichen oder tödlichen Verletzungen reichen können. Im letzten Jahr sind in unserem Land 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner umgebracht worden. Auch hier ist eine Steigerung von 22 Fällen zu verzeichnen.
Betroffene erleiden aber auch oft schwere psychische Schäden, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS), Depressionen und Angstzuständen. Ein oftmals zu wenig betrachteter Faktor sind Kinder, die in Haushalten mit häuslicher Gewalt leben. Auch sie sind stark betroffen und leiden oft unter emotionalem Stress, der ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigen kann.
Die Bundesfamilienministerin hat ein neues „Gewalthilfegesetz“ in Aussicht gestellt, das durch ein flächendeckendes niedrigschwelliges Unterstützungsangebot die Grundlage für ein verlässliches und bedarfsgerechtes Hilfesystem bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt schaffen soll.
Hier könnte sich ein Blick nach Spanien lohnen, wo bereits im Jahre 2004 das „Gesetz zum umfassenden Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt" beschlossen wurde. Es ist eines der umfassendsten Gesetze in Europa, das sich dem Thema häusliche Gewalt widmet und auf die Punkte Prävention und Sensibilisierung, Schutzmaßnahmen für Opfer und soziale Unterstützung wie psychologische Betreuung und eine kostenlose Rechtsberatung ausgerichtet ist. Dazu wurden spezielle strafrechtliche Bestimmungen eingeführt, die härtere Strafen für Täter von geschlechtsspezifischer Gewalt vorsehen und Spezialgerichte eingerichtet, die für eine schnellere und spezialisierte Behandlung von Fällen häuslicher Gewalt sorgen. Doris Christians dazu:
„Solche Maßnahmen würde ich mir auch für Deutschland wünschen, aber im Moment haben wir nicht einmal ausreichend Plätze in unseren Frauenhäusern. Hinzu kommen die krankheitsbedingten Folgen von Gewalterfahrung, die somit unser Gesundheitssystem belasten. In dieser Zeit steht die betroffene Person dem Arbeitsmarkt ebenfalls nicht zur Verfügung. Wenn schon die Schicksale und Zahlen der betroffenen Frauen, Kinder und Männer die Politik nicht zum Handeln bewegt, dann vielleicht die monetären Schäden für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft. Ein Investieren in die Prävention sollte nicht nur deswegen höchste Priorität haben."