Thesenpapier des Abgeordneten Schreiber – die Kriminalpolizei muss mehr in den Fokus rücken
22.05.2019
Ob er das in der aktuellen Anbindung an schutzpolizeiliche Direktionen jemals wird, werden wir zu diskutieren haben. Natürlich darf auch beim LKA die Kritik an den Stäben bei Herrn Schreiber nicht fehlen. Sie ist jedoch in der Breite fehl am Platze. Gerade der LKA Stab hat großen Anteil an der Weiterentwicklung der technischen Ausstattung in der Kriminalitätsbekämpfung, an den Fragen des bundesweiten und europaweiten Datenaustausches oder an Grundsatzkonzepten und deren Umsetzung wie etwa für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Vermögensabschöpfung und vielem mehr. Die Problemlage scheint mir nicht ausreichend ausgeleuchtet, die Lösungsansätze müssen kritisch überprüft werden. Ganz wichtig wird dabei sein, dass unterschiedliche Erfordernisse von Schutz- und Kriminalpolizei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dennoch bleibt nichts anders übrig, als die Unterschiedlichkeit beider Berufe anzuerkennen und auch die Organisation entsprechend auszurichten. Wenn die Kripo schlagkräftig ist, wird es auf der Straße friedlicher werden. Davon haben wir alle etwas, auch die Kolleginnen und Kollegen der Schutzpolizei.
Der Berliner Abgeordnete Tom Schreiber (SPD) hat in einem Positionspapier zur Neustruktur der Polizei eigene Vorstellungen vorgelegt. Das, für sich genommen, ist beachtlich und letztendlich lobenswert, denn es zeigt die Sorge um den Zustand der Behörde und ihrer Zukunft. Gleichzeitig bin ich allerdings davon überzeugt, dass er damit auch ohne Thesenpapiere anderer politischer Akteure nicht allein steht. Das, was alle gleichermaßen umtreiben dürfte, ist nicht das übergeordnete Ziel: eine moderne Hauptstadtpolizei. Die Debatte dreht sich um den richtigen Weg und um die dafür erforderliche Struktur eines Apparates mit etwa 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In Schreibers Analyse sind einige Punkte enthalten, die der Bund Deutscher Kriminalbeamter teilt. So beispielsweise die Feststellung des Personalmangels oder der Bandbreite der Tätigkeiten der Berliner Polizei. Ersteres ist nur politisch lösbar und nicht nur eine Frage innerbehördlicher Organisation, was Herr Schreiber mit Verweis auf die fehlenden Einstellungen früherer Jahre auch erwähnt. Die Beschreibung der Personalverteilung allerdings ist diskussionswürdig.
Die Ausführungen zur Größe des Stabes der Direktion Einsatz beispielsweise ist verkürzt und berücksichtigt nicht die Tatsache, dass die im Zeitraum 2014 – 2018 umgesetzten Aufgabenzuwächse unter anderem durch die Angliederung des Lagezentrums und der Einsatzleitzentrale sich bei der Anzahl der Mitarbeiter im Stab ebenso auswirkt wie die Tatsache, dass drei Bereitschaftspolizeiabteilungen Vorgaben zur Stabsgröße aus dem Verwaltungsabkommen zwischen Berlin und dem Bund unterliegen. Zudem hat die Auswertung der Abläufe rund um den Anschlag am Breitscheidplatz zu Schlussfolgerungen geführt, die ein weiteres Anwachsen dieses Stabes nach sich zog. Die nackten Zahlen sind also trügerisch, wir müssen genauer hinsehen.
Für die Kriminalitätsbekämpfung suchen die Thesen des SPD-Mannes ihr Heil in uniformierter Präsenz. Das mag ein Baustein sein, es ist allerdings kein Fundament. So verkennt das Papier, worum es sich bei „administrativen Aufgaben“ der Polizeiabschnitte tatsächlich handelt: Umgang mit Asservaten, Mitentwicklung kiezbezogener Konzepte in Prävention und Repression, Auswertung des kriminalgeografischen Raumes und Feststellung von Hotspots, Brennpunkten oder gar kriminalitätsbelasteten Orten sowie deren nachweisbare Belegung und ggf. Einstufung nach dem ASOG und nicht zuletzt die immer erforderlichen, wenn auch ungeliebten Schreibarbeiten. Diese Schreibarbeiten sind übrigens zwingende Voraussetzung für den fairen Strafprozess, also die rechtsstaatlich vorgeschriebene Weise der Täterüberführung und Verurteilung. Konzentrierte Lagebereinigung ist das eine, friedensstiftende Konfliktlösung wirksam und vom Bürger gewünscht. Der „Papierkram“ aber ist rechtstaatliche Notwendigkeit. Die Kunst wird es sein, beides zusammenzuführen.
Das „Berliner Modell“ kann man kritisieren – die damit einhergehenden Tätigkeiten der Kolleginnen und Kollegen sind aktuell jedoch die Voraussetzung für die von einigen Seiten so erwünschte zweigeteilte Laufbahn (gehobener und höherer Dienst). Nur die Wahrnehmung von quasi kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeit, die Sachbearbeitung von Strafanzeigen (mehr als die Anzeigenaufnahme, also Vernehmungen etc.) , qualifiziert die Schutzpolizei flächendeckend gemäß Gutachten der Unternehmensberatungsfirma „Knight Wegenstein“ aus dem Jahr 1974 für die Laufbahn des gehobenen Dienstes. So bestätigt durch die Einführung des Berliner Modells 1997. Die reine Abwicklung des sogenannten „Täglichen Dienstes“ mag Vorteile haben – die übrige Arbeit würde dann aber wahrscheinlich bei den so kritisch beäugten Führungsdiensten oder Stäben der Direktionen landen. Das muss man wollen.
Hier fügt sich gleichsam die Forderung des Abgeordneten nach einem regelmäßigen Praktikum von Studentinnen und Studenten der Schutzpolizei für den gehobenen Dienst bei den Einsatzhundertschaften ein. Diese Kolleginnen und Kollegen sollen später vordringlich auf den Polizeiabschnitten verwendet werden, wo ihre wichtigste Aufgabe jedenfalls nicht die Bewältigung geschlossener Einsätze sein wird. Herr Schreiber schreibt es sinngemäß selbst: Präsenz und Kriminalitätsbekämpfung im Kiez ist der wichtigste Job der Polizeiabschnitte.
Über den Zuschnitt der Direktionen gab es einige Diskussionen. Zu einem für alle perfekten Ergebnis wird man an dieser Stelle nicht kommen. Die Voraussetzungen sind aktuell: das alles darf möglichst nichts kosten. Wir sind also alle weit davon entfernt, überhaupt nur über die perfekte Organisation der Hauptstadtpolizei nachzudenken. Schmalhans ist da nach wie vor Küchenmeister, die Mittel dafür werden nicht verfügbar werden. Unter diesen Rahmenbedingungen sind jedenfalls Betrachtungen zum Zuschnitt der Direktionen, die allein auf Einwohnerzahlen fußen, nicht zielführend. Schon die polizeiinternen Untersuchungen zur „belastungsorientierten Personalverteilung“ innerhalb der Schutzpolizei warfen Fragen der Einsatzbelastung, der Kriminalitäts- und Veranstaltungslage auf, berücksichtigt werden müssen aber auch so banale Dinge wie etwa ein trennendes Gewässer.
Zu den Vorschlägen von Direktionshundertschaften mit insgesamt 240 Personen und weiteren vier Bereitschaftspolizeihundertschaften mit dann mind. 600 Personen inkl. verpflichtenden Stabsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, stelle ich nur eine Frage: Woher sollen diese Kolleginnen und Kollegen kommen - aus dem Lagezentrum und der Einsatzleitstelle, also dem Stab der Direktion Einsatz?
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht, wie Schreiber, auch Potenzial bei den Ermächtigungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Zentralen Objektschutz. Dies hat jedoch seine Grenzen bei deren eigentlicher Aufgabe. Die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung oder und Unfallaufnahme gehört mit Sicherheit nicht dazu. Wohl aber beispielsweise die Anordnung der Entfernung von Fahrzeugen aus Sicherheitsbereichen der von ihnen zu bewachenden Objekte. Sollten dazu künftig wieder Polizeiliegenschaften gehören, dann bin ich auf die Finanzierung und Rekrutierung des dafür erforderlichen zusätzlichen Personal gespannt.
Zur Kriminalpolizei findet Herr Schreiber – wie andere auch – nur wenige Worte. Die örtliche Kriminalpolizei wird auf den Kriminaldauerdienst reduziert, der allerdings tatsächlich gestärkt werden muss. Ob er das in der aktuellen Anbindung an schutzpolizeiliche Direktionen jemals wird, werden wir zu diskutieren haben. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter ist davon jedenfalls nicht überzeugt und fordert deshalb eine Anbindung der Kriminalpolizei insgesamt im LKA. Damit ist keine Kripo-Kommune am Tempelhofer Damm gemeint, sondern lediglich eine fachliche und organisatorische Gesamtverantwortung mit weiterhin regionalem Bezug. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass der Kiezkriminelle entweder jugendlich oder die Ausnahme ist. Die wesentlichen Kriminalitätsphänomene sind stadtweit zu betrachten und zu bekämpfen, im besten Falle in einem Gleichklang aus Phänomenorientierung und Täterorientierung. Dies beginnt in einer zentral geführten kriminalpolizeilichen Sofortbearbeitung, die Herrin über alle in der Stadt anfallenden Straftaten sein muss. Die Entscheidung über die deliktische Einordnung und die daraus abzuleitenden kriminalpolizeilichen Sofortmaßnahmen darf nicht weiter dem Zufall überlassen werden, ob der Sachverhalt der Kripo überhaupt zeitnah bekannt wird.
Ich möchte das an einem fiktiven Beispiel deutlich machen:
Einer Dame wird die Handtasche entwendet, sie wird dabei vom Täter geschlagen. Die ersten Beamten am Ort ordnen dies als einfachen Diebstahl und Körperverletzung ein und melden den Sachverhalt nicht der Kripo, weil beide Delikte Zuständigkeit der Polizeiabschnitte sind. In der Folge unterbleiben die zwingend erforderlichen kriminalpolizeilichen Sofortmaßnahmen, die bei einem Raub, der es nämlich eigentlich war, vorgesehen sind. Später öffnen die Täter mit dem in der Handtasche befindlichen Schlüssel die Wohnung des Opfers – die Spurenlage ist aufgrund der Begehungsweise dürftig. Die ausgebliebene Bearbeitung des vorangegangenen Raubes sorgte für weitere Lücken in der Erkenntnislage. Die Täter konnten nicht mehr ermittelt werden. Hier liegt das Problem im System, nicht bei den Kolleginnen und Kollegen. Die Meldung an die Kripo muss wieder zur Pflicht werden.
Natürlich darf auch beim LKA die Kritik an den Stäben bei Herrn Schreiber nicht fehlen. Sie ist jedoch in der Breite fehl am Platze. Gerade der LKA Stab hat großen Anteil an der Weiterentwicklung der technischen Ausstattung in der Kriminalitätsbekämpfung, an den Fragen des bundesweiten und europaweiten Datenaustausches oder an Grundsatzkonzepten und deren Umsetzung wie etwa für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Vermögensabschöpfung und vielem mehr. Würde man hier massiv reduzieren, so wäre dies künftig dann zusätzliche Aufgabe der Führungskräfte der Kommissariate. Diese sind aus Sicht des Bund Deutscher Kriminalbeamter aber eben nicht Konzeptarbeiter, sondern sollen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der konkreten Sachbearbeitung unterstützen und für ein vernünftiges Arbeitsklima sorgen. Ideen kommen dann von ganz allein und beim Stab können wir sie bündeln. Nicht zuletzt sind es im Übrigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stäbe, die Sorge dafür tragen, dass die hohe Anzahl von Anfragen aus dem politischen Raum und Aufträge der Untersuchungsausschüsse bei häufig extrem kurzen Zeitvorgaben in der gebotenen Gewissenhaftigkeit bearbeitet werden.
Und schließlich ausgerechnet von Tom Schreiber, der sich stets für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität stark macht, kommt eine Forderung regelmäßigen Personalaustausches in der Sachbearbeitung. Das ist eine klassische Schutzpolizeiidee, sie taugt aber für die Kripo keinen Millimeter. Die fachlichen Anforderungen an die unterschiedlichen Phänomene und das kiezbezogene und täterbezogene Wissen sind Dinge, die mit Rotation abgewürgt werden. Eine erfolgreiche Hauptstadt-Kriminalpolizei braucht ganz im Gegenteil den Weg von Fachkarrieren jenseits von Führungsaufgaben und den Weg hin zur Verwendungstiefe für die Fallbearbeitung.
Insgesamt bleibt für mich die Feststellung, dass Politik und Polizei gemeinsam mit den Beschäftigtenvertretungen noch einen weiten Weg vor sich haben. Die Problemlage scheint mir nicht ausreichend ausgeleuchtet, die Lösungsansätze müssen kritisch überprüft werden. Ganz wichtig wird dabei sein, dass unterschiedliche Erfordernisse von Schutz- und Kriminalpolizei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dennoch bleibt nichts anders übrig, als die Unterschiedlichkeit beider Berufe anzuerkennen und auch die Organisation entsprechend auszurichten. Wenn die Kripo schlagkräftig ist, wird es auf der Straße friedlicher werden. Davon haben wir alle etwas, auch die Kolleginnen und Kollegen der Schutzpolizei.
Daniel Kretzschmar
Landesvorsitzender