Tatort ist nicht nur sonntags – das Attraktivitätsproblem der Kriminalpolizei

17.03.2024

Der Kriminalist, Editorial 3-4/2024
Kriminalpolizei

Bezüglich der Fragestellung, ob die Kriminalpolizei attraktiv ist, werden viele Bürgerinnen und Bürger, vermutlich auch zahlreiche Politikerinnen und Politiker, davon ausgehen, dass eine solche Tätigkeit für junge Menschen, die sich für den Polizeiberuf entscheiden, besonderes erstrebenswert sein dürfte.

Die Realität lässt aber seit Jahren eher andere Schlüsse zu und wirft erhebliche Schatten auf die Zukunftsfähigkeit der Kriminalpolizei. Wir müssen flächendeckend feststellen, dass die Bewerberlage aus den Reihen der Schutzpolizei auf zu besetzende Stellen der Kriminalpolizei rückläufig ist - selbst bei solchen Dienststellen, die in der Vergangenheit von besonderem Interesse für junge Kolleginnen und Kollegen waren (Mordkommission, Organisierte Kriminalität, Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität).

Die Gründe hierfür sind u. a. darin zu sehen, dass die Tätigkeit bei diesen Dienststellen zwar grundsätzlich als interessant empfunden wird, die dortigen Belastungen mit Ermittlungskommissionen, Überstunden, zu leistenden Bereitschaften und nicht zuletzt die Einkommensverluste gegenüber einer Beschäftigung im Schichtdienst aber letztlich dazu führen, sich für eine dauerhafte Verwendung bei der Schutzpolizei zu entscheiden.

Zugleich wachsen die Ansprüche an eine professionelle Kriminalitätsbekämpfung mit zunehmend komplexeren Kriminalitätsphänomenen stetig. Bereits die massive Verlagerung des Kriminalitätsgeschehens aus dem analogen in den digitalen Raum und die damit verbundenen Anpassungsbedarfe an die kriminalpolizeiliche Arbeit führen dazu, dass weder die in vielen Ländern immer noch betriebene inhaltsgleiche Ausbildung von Beamtinnen und Beamten, noch die bestehenden Fortbildungsbedarfe und erst recht die vorhandene Personalausstattung geeignet wäre, alleine mit dieser Form der Kriminalitätsentwicklung Schritt zu halten.

Zukünftige Interessentinnen und Interessenten für kriminalpolizeiliche Funktionen ahnen, dass von ihnen bei einem Wechsel in die Kriminalpolizei auf der Basis unzureichender Ausbildung verlangt wird, die Ergebnisse komplexer Ermittlungen und umfangreicher Ermittlungsverfahren vor Gericht und professionellen sowie hoch bezahlten Verteidigerinnen und Verteidigern kompetent darzustellen. Dies erzeugt verständliche Ängste.

Mittlerweile scheinen einzelne Vertreterinnen und Vertreter der ministeriellen und politischen Ebene die erheblichen Nachwuchsprobleme der Kripo zur Kenntnis zu nehmen, ohne jedoch die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um ihnen ernsthaft entgegenzuwirken.

Bereits im Jahr 2018 machte die Untersuchung eines hessischen Kollegen zur Nachwuchsproblematik der Kriminalpolizei im Rahmen der Auswertung eines Fragebogens an 849 Teilnehmende schon sehr deutlich, dass die Rahmenbedingungen eines Wechsels von der Schutz- zur Kriminalpolizei einen vorhandenen beruflichen Idealismus für diese Aufgabe überschatten.

Die Prüfung der harten Fakten wie die monetäre Entlohnung, die tatsächliche Wochenarbeitszeit, die längere Lebensarbeitszeit sowie die 1:8-Vergütung von Bereitschaftsdiensten waren für viele Befragte Argumente gegen einen Wechsel zur Kriminalpolizei. Den negativsten Wert der Umfrage erzielten die finanziellen Einbußen, die bei einem Wechsel vom Schicht- in den Tagesdienst entstehen. Durch den Wegfall der Schichtdienstzulage und der Zulage für den Dienst zu ungünstigen Zeiten entstehen finanzielle Einbußen bei einem Wechsel in die Kriminalpolizei in Höhe von ca. 3.000-4.000 € jährlich, den sich gerade junge Menschen aufgrund der Lebenshaltungskosten vor allem in den Ballungsgebieten deutscher Großstädte nicht leisten können.

Die Befragten thematisierten dann den zeitlichen Mehraufwand im Tagesdienst, den sie als Nachteil ansahen, obwohl gerade der Schichtdienst oft mit negativen Bewertungen belegt ist. Selbst die Tatsache, dass im Tagesdienst bei ca. 220 Arbeitstagen durch den Abzug der 30 Minuten Mittagspause 110 Stunden jährlich anfallen, die im Schichtdienst nicht abgezogen werden, wurde als Grund gegen einen Wechsel zur Kriminalpolizei vermerkt

6 Jahre nach dieser Untersuchung bestehen die damals vorgebrachten Gründe nicht nur weiterhin fort.. Sie haben sich sogar durch den massiven Anstieg der Lebenshaltungskosten noch verstärkt, ohne dass dieser Entwicklung durch die polizeilichen und politischen Verantwortlichen etwas entgegengesetzt wurde. Dabei liegen die notwendigen Steuerungsmaßnahmen schon Jahre auf dem Tisch und wurden vom BDK hundertfach vorgebracht:

  • Gezielte Werbung und Einstellung für Funktionen in der Kriminalpolizei
  • Sofortiger Einstieg in die fachspezifische Ausbildung in all den Bundesländern und in der Bundespolizei, die sich bisher nicht für einen spezialisierten kriminalpolizeilichen Studiengang entschieden haben,
  • Verwendung der Studienabgängerinnen und -abgänger kriminalpolizeilicher Studiengänge unmittelbar in kriminalpolizeilichen Funktionen
  • Änderung des Berechnungsmodus von Bereitschaftsdiensten, mindestens 1:4
  • Besoldung mindestens nach A 10 bei Dienstzweigwechsel oder Direkteinstieg in die Kriminalpolizei in der ersten Sachbearbeitungsfunktion, Streichung der A9 in der Kriminalpolizei,
  • Anerkennung der Spezialisierung und Arbeitsbelastung durch eine zügige Beförderungsmöglichkeit nach A 11 und für qualifizierte Sachbearbeitung und Führung nach A 12 und A 13,
  • Schaffung eigener Berufsbilder für Expertinnen und Experten wie für die IT- Forensik, KTU, Mord-und Ermittlungskommissionen, Wikri, OK, Computerkriminalität auch in den Spitzenfunktionen des gehobenen Dienstes und den Eingangsfunktionen des höheren Dienstes insbesondere bei Beschäftigten mit abgeschlossenem außerpolizeilichen Hochschulstudium.

Für den BDK ist es ein außergewöhnliches Warnsignal, dass teilweise Kolleginnen und Kollegen aus der Schutzpolizei schon mehr oder weniger gezwungen werden müssen, kriminalpolizeiliche Funktionen zu übernehmen.

Die Zeiten, in denen alleine die Zugehörigkeit zu einer Mordkommission oder einer OK-Dienststelle das berufliche Seelenheil ausmachte und Begriffe wie Work-Life-Balance nicht im Wortschatz der Ermittlerinnen und Ermittler enthalten waren, sind lange vorbei. Die Innenpolitik hat jahrzehntelang von diesem außergewöhnlichen Engagement der Kriminalpolizei profitiert, ohne es zu honorieren.

Viele Jahrzehnte wurden damit vertan, kriminalpolizeiliche Organisationseinheiten zu demontieren und die Rolle der Organisationen Kriminalpolizei zu marginalisieren und den Einfluss ihrer Führungskräfte zurückzudrängen. Der inhaltsgleichen Ausbildung folgte die austauschbare Verwendung in den unterschiedlichsten Funktionen von Schutz- und Kriminalpolizei - auch und gerade im höheren Dienst. Damit erkannten viele Kriminalistinnen und Kriminalisten, dass ihre Expertise mit den verbundenen hohen zeitlichen und intellektuellen Belastungen bei den Ermittlungen sich für sie nicht in Wertschätzung auszahlten, von vielen Führungskräften gar nicht fachlich bewertet werden konnten und das kriminalpolizeiliche Berufsethos entweder geleugnet oder mit Füßen getreten wurde.

Die Kriminalpolizei leidet erheblich unter ihrer Nachwuchsproblematik. Hier muss die Innenpolitik schnell durch Personalverstärkung, bessere Stellenbewertung und erlebbar besserer Besoldung und Wertschätzung der Kriminalpolizei gegensteuern. Es sollte kein Produkt des Zufalls sein, ob ein Absolvent einer Polizeihochschule irgendwann irgendwo in irgendeiner Funktion in der Kriminalpolizei landet, sondern ein Produkt professioneller und auf die Fachlichkeit und das kriminalpolizeiliche Berufsethos ausgerichteter professioneller Personalplanung. Die Politik hat sich in vielen Ländern jahrzehntelang an der Kriminalpolizei und ihrem Berufsbild versündigt. Es wird Zeit, den Weg in eine professionelle Zukunft der Kriminalpolizei zu gehen.

Es muss attraktiv sein und bleiben, bei der Kripo zu arbeiten!


Herzliche Grüße

Dirk Peglow

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