Stuhltanz bei der Kripo

28.03.2023

Mobile Endgeräte, Andockstationen und abgeräumte Schreibtische – Digitalisierung und neue Arbeitsformen schaffen (Frei-)Raum, aber stoßen an Grenzen
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Erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung gelingt nur unter guten Rahmenbedingungen. Viele dieser guten Rahmenbedingungen sind in letzten Jahrzehnten reduziert worden bzw. verloren gegangen (z.B. Schreibkräfte, erreichbare GeSen, etc.). Diese Rahmenbedingungen können durch die Digitalisierung und neue Formen des Arbeitens verbessert werden. Der BDK versteht dies als Chance, sieht jedoch auch Grenzen und neue Herausforderungen.

Zwei Krisen sind bei der diesbezüglichen Entwicklung der letzten Jahre als Beschleuniger zu sehen. Die Corona-Pandemie mit den Kontaktminimierungsgeboten hat auch im Bereich der Kriminalpolizei bewirkt, dass plötzlich möglich wurde, was zuvor vielen als undenkbar galt: Arbeiten „mobil“ von zuhause aus. Limitierender Faktor war hier vor allem die Verfügbarkeit mobiler Endgeräte, welche einen Zugriff auf das polizeiliche System zulassen. Aber der grundsätzliche „Beweis“, dass es möglich ist, beispielsweise Vermerke, Schlussberichte, Konzeptionen, Präsentationen oder Beurteilungen an einem geschützten Ort nach eigener Wahl zu schreiben, war erbracht. Während die Corona-Pandemie fürs erste überwunden zu sein scheint, ist die zweite Krise eine Mammutaufgabe der nächsten Jahrzehnte: Der Sanierungsrückstau in den Liegenschaften der Berliner Verwaltung allgemein und bei der Kriminalpolizei im Besonderen führt zu einem veritablen Mangel an Arbeitsplätzen im Sinne personenbezogener Büros/Schreibtische/IKT.

Als Lösung hat der Berliner Senat neudeutsch die „One-Device-Strategie“ ersonnen. Dahinter verbirgt sich nach Senatsbeschreibung „die komplette Umstellung aller geeigneten IKT-Arbeitsplätze auf mobile Endgeräte“, letztlich geht es um die Beschaffung von einheitlichen Standardgeräten. Diese Einheitsendgeräte ermöglichen neben dem mobilen Arbeiten perspektivisch auch, an einer Andockstation an einem beliebigen Schreibtisch innerhalb einer Behörde zu arbeiten. Natürlich steckt dahinter der Gedanke, dann insgesamt weniger Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen – und schon beginnt der Stuhltanz, wobei das Schreibtischspringen als "Desksharing" sicher schicker klingt.

Nun sind bei der Kriminalpolizei die ersten dieser Endgeräte angekommen und die sukzessive Vollausstattung soll gesichert sein. So bietet sich auch den Beschäftigten der Kripo verstärkt durch mobiles Arbeiten die Möglichkeit, Beruf, Familie und Privatleben besser in Einklang zu bringen. Sachbearbeitung ohne die Notwendigkeit eines Bürgerkontakts ist in vielen Teilen möglich, entbindet vom Büroschreibtisch und lässt mobiles Arbeiten zuhause zu. Das ist gut und richtig so. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass sich durch die weiter umgreifende, politisch gewollte Parkraumbewirtschaftung rund um die Dienststellen für viele Beschäftigte, die gezwungen sind, auf den ÖPNV umzusteigen, der tägliche Arbeitsweg zeitlich stark verlängert hat. Da ist mancher froh, wenn er nicht jeden Tag ins Büro muss.

Unhaltbar ist jedoch, dass es bisher bei der Polizei Berlin keine einheitlichen Regeln zur praktischen Umsetzung des mobilen Arbeitens gibt – z.B. unter welchen Bedingungen welche Akten mitgenommen werden dürfen. Allein schon zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss die Behörde hier schleunigst für Klarheit sorgen.

UND: Es gibt noch einen wesentlichen Anteil an kriminalpolizeilicher Ermittlungsarbeit, der nicht von zuhause erledigt werden kann.

Während die Suche nach einem freien und hoffentlich sauberen Schreibtisch im Kriminaldauerdienst zur Berichtsfertigung nach getaner Tatortarbeit seit je her geübte Praxis ist, ist dort ein Arbeiten aus naheliegenden Gründen von zuhause aus weitestgehend unrealistisch. Wer möchte schon die Leichenbesichtigung im eigenen Wohnzimmer durchführen?

Darüber hinaus gilt aber auch für andere Ermittlungsbereiche, dass der direkte, „analoge“ Kontakt zum Bürger (von Angesicht zu Angesicht) bis auf Weiteres immer wieder auch in den bekannten Amtsstuben stattfinden muss. Solange die Mitarbeitenden nicht „bereit“ sind, zuhause Vernehmungszimmer oder Verwahrräume für eingebrachte Personen einzurichten, muss der Dienst auf einer Kripodienststelle verrichtet werden. Abseits dieser Ironie gebietet der Datenschutz, Ermittlungsmaterial sicher aufzubewahren. Akten sind noch nicht so weit digitalisiert, wie es möglich wäre und auch die Abnahmeorganisationen Amts- und Staatsanwaltschaft bestehen weiter auf echter Tinte auf echtem Papier und Originalasservate. Somit sind der strategischen Umsetzung der Nutzung personengebundener Laptops für den Einsatz in wechselnden Diensträumen oder anderweitig im mobilen Arbeiten, Grenzen gesetzt. Daher muss die Kriminalpolizei aus aufgabenbezogenen Gründen auch weiterhin adäquate Diensträume nutzen.

Die erhoffte Raumeinsparung durch die Umwandlung von personengebundenen Büros in multipel nutzbare Schreibräume ist also begrenzt. Die Beschäftigten der Kriminalpolizei sind erfahrungsgemäß mutig und Neuem aufgeschlossen; in keinem anderen Beruf ist man so nah an persönlichen, gesellschaftlichen und technischen Neuerungen (wenngleich letztere meist beim polizeilichen Gegenüber zuerst vorhanden sind). Die Organisationseinheit „Kriminalkommissariat“ hat aber in den letzten 200 Jahren ihres Bestehens immer wieder feststellen müssen, dass der persönliche, direkte und kurze mündliche Kontakt der Kollegen untereinander größere Ermittlungserfolge zeitigt. Immer dann, wenn Kriminalisten sich direkt und auf kurzen Wegen über Kriminalfälle austauschen können, entstehen Verdachtsmomente, Ermittlungsanhalte und Lösungsansätze.

Es ist daher sinnvoll und geboten, Ermittler mit gleicher Zuständigkeit auch räumlich nahe beieinander unterzubringen. Schon ein Büro, welches in Fremdnutzung eine Kette unterbricht, kann aufklärungsbehindernd wirken. Nicht außer Acht gelassen werden darf auch die Frage der Mitarbeiterführung, die gerade in sensiblen Bereichen einer räumlichen Nähe der Führungskraft zu den Mitarbeitenden bedarf. Auch die Erfahrung, dass Gemeinschaftsräume gerne verwahrlosen, wenn sie keiner Organisationseinheit zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden, spielt hierbei eine Rolle. Eine strikte Überwachung der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bei Einrichtung und Betrieb von Multifunktionsbüros mit elektrisch höhenverstellbaren Schreibtischen und ergonomischen Stühlen ist zudem unabdingbar.

Zwingend gelöst werden müssen vor dem Hintergrund der personenungebundenen Schreibtische Fragen der dienstlichen Telefonie. Abgesehen davon, dass die Nutzung privater IuK-Endgeräte für dienstliche Zwecke zurecht untersagt ist, wäre es absurd, wenn die Bearbeitung des Enkeltricks von einem Mitarbeiter im mobilen Arbeiten verlangt, mit seiner privaten Rufnummer einen Zeugen anzurufen und zu erklären, dass er trotz dieser Rufnummer wirklich Polizist ist. Erst Recht wird niemand in der Beschuldigtenvorladung eine private Telefonnummer als Erreichbarkeit angeben wollen.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass es gerade für Menschen mit einem mental belastenden Beruf nicht nur Vorteile hat, von zuhause zu arbeiten. Eine klare Trennung der beruflichen und der privaten Welt dient der Seelenhygiene bzw. Resilienz.

Fazit:
Die mit der Digitalisierung einhergehenden, verbesserten Rahmenbedingungen für die Arbeit entlassen die Politik nicht aus ihrer Pflicht, den Sanierungsstau (bzw. Neubau) in den Liegenschaften der Kriminalpolizei endlich nachhaltig anzugehen.