Strategie zur Personal- und Organisationsentwicklung Kriminalpolizei in Rheinland-Pfalz

23.08.2021

Organisationsbetrachtungen zur rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei
Kriminalpolizei

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1. Vorbemerkungen und Zielsetzung der organisatorischen Überlegungen
Die nachfolgenden strategischen Überlegungen zur (Fort-)Entwicklung der rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei sind die Folge aktueller Entwicklungen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung und -prävention.

Kriminalität verändert sich rasant. Mit dieser Dynamik hält die Kriminalitätsbekämpfung nicht mehr Schritt. Wir sind im Hell- wie im Dunkelfeld mit besonderen Herausforderungen innerhalb angestammter Aufgabenfelder, wie OK, Rauschgift oder Staatsschutz konfrontiert. Zugleich schaffen weitere Phänomene zusätzliche fachliche Aufgaben und Schwerpunkte, aber auch enorme Herausforderungen und Besorgnisse. Internationaler Call-Center-Betrug zum Nachteil älterer Menschen, GAA-Sprengungen, Kryptografie, IT-Erpressungen, Kinderpornografie, Pandemiekriminalität und nicht zuletzt der Anstieg rechtsextremistischer Straftaten sollen hier nur als Beispiele dienen.

In der Summe entstehen insbesondere qualitative Mehrbelastungen bei der Kriminalpolizei. Zugleich kann der BDK aufzeigen, dass, entgegen der traditionellen PKSInterpretation, die Quantität der Anforderungen an die Kriminalpolizei eben nicht abnimmt. Bereits mit der Addition der bundesweit geführten Statistik „Auslandsstraftaten/PKS angelehntes System“ wird eine Steigerung der tatsächlich zu bearbeitenden Fälle belegt. Daneben ist festzustellen, dass sich Veränderungszyklen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung stetig verkürzen. Eklatante Zunahmen auszuwertender Massendaten, sich ständig verändernde nationale und internationale Rechtsrahmen (z. B. „Rechtsanwalt der ersten Stunde“ oder Reform des Sexualstrafrechts zum 01.07.21), die Abnahme der Bedeutung des Personalbeweises, die reduzierte Aussagekraft der klassischen Telekommunikationsüberwachung (mit teils erheblichem Einfluss auf die Ermittlungstaktik) erhöhen die kriminalistischen Aufwände.
Darüber hinaus setzt das Ministerium des Innern und für Sport (MDI) in den letzten Jahren aufgrund aktueller Entwicklungen eine Vielzahl weiterer Schwerpunkte, die sich vor allem auf die Kriminalpolizei auswirken. Zu nennen sind hier insbesondere Regewa1, Aerbit2, MIT-Bekämpfung3 und die Bekämpfung der Hasskriminalität. Dabei verortet das MDI die Steuerung dieser Bekämpfungskonzepte im LKA und – mit der Einrichtung von personalbindenden sog. „Kopfstellen“ (SPOC oder KOST) – in den Kriminaldirektionen. 

Diese steuern damit de facto ohne die unmittelbare verantwortliche Beteiligung der Polizeidirektion in die örtlichen Kriminalinspektionen hinein. Gleichwohl sind diese Kopfstellen weder fach- noch dienstaufsichtlich den Kriminalinspektionen vorgesetzt.  Dies vor Augen schlussfolgert der BDK, dass strukturelle Veränderungen der kriminalpolizeilichen Organisation zwingend sind. Art und Umfang sind zu prüfen.

Die etablierte Struktur zur Bekämpfung der Kriminalität begegnet der Dynamik des Verbrechens zu bürokratisch und vor allem – zu langsam!

Dabei ist sich der BDK seiner besonderen Beratungsverantwortung als Fachorganisation für Kriminalistik bewusst. Wir verkennen nicht, dass organisatorische Veränderungen Widerstände, Ängste aber auch Aufwände für die strategische Planungsebene bedeuten. Die Sorge des Verlustes von Vertrautem und interessensgeleitete Betrachtungen dürfen aber fachliche Diskussionen keinesfalls behindern. Organisatorische Anpassungen der Kriminalpolizei sind zur Stärkung personeller Kompetenzen, zur Bündelung von Aufgaben sowie zur Umsetzung gemeinsamer Standards geboten. Dies gilt sowohl für die AAO als auch für die
Professionalisierung von BAO-Strukturen. Wir arbeiten unter Effizienzgesichtspunkten auf die Flexibilisierung der Kriminalitätsbekämpfung hin. Kriminalpolizei muss ihre „Kommissionsfähigkeit“ ausbauen und in Teilbereichen zurückgewinnen. Daneben muss es der Kriminalpolizei gelingen, proaktiv das Dunkelfeld in schwer aufklärbaren Kriminalitätsbereichen aufzuhellen und dabei auch tatsächlich Schwerpunkte zu setzen, ohne die Daueraufgaben zu vernachlässigen.

Insofern verfolgt der BDK Rheinland-Pfalz mit seinen Thesen zur Fortentwicklung der kriminalpolizeilichen Organisation folgende Ziele:

  • Entwicklung einer aufgabenorientierten kriminalpolizeilichen
    Organisation, die zukunftsorientiert, flexibel und belastbar ist
  • Qualitätssteigerung bei der Kriminalitätsbekämpfung
  • Erzeugung von schnellen und effektiven Reaktionsmechanismen
    bei der Bekämpfung auch neuer Phänomene
  • Professionalisierung der AAO und damit auch die Verbesserung
    der Einbindung in BAO-Strukturen
  • Verbesserung der Kooperationsfähigkeit der rheinland-pfälzischen
    Kriminalpolizei in der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit
    (u. a. JIT)

Der BDK Rheinland-Pfalz verfolgt damit allerdings nicht die Forderung nach einer Mehrung von Funktionsstellen oder Stellenhebungen. Aber gleichsam weist der BDK darauf hin, dass diese strategischen Überlegungen nicht zur Einsparung von Funktionsstellen und den bereits zu wenigen Sachbearbeiterstellen bei der Kriminalpolizei genutzt werden dürfen.


2. Historie der Organisationsentwicklung der Polizei Rheinland-Pfalz
Die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz war immer wieder gefordert, sich auf Effizienz zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Dies führte 1993 zu einer  weiteren und durchaus einschneidenden Strukturreform. Es galt, den Aufbau der Polizei an die Erfordernisse anzupassen, weg von einer organisatorischen Ausrichtung an Landkreise und kreisfreien Städte, hin zu großen Polizeibehörden.  Diese sollten mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Personal eigenständig auf die Kriminalitäts- und Verkehrsentwicklung in ihren Zuständigkeitsbereichen reagieren können. So wurden die 36 Polizeibehörden mit der Zwischeninstanz der Bezirksregierungen zu fünf Polizeipräsidien zusammengefasst. In der Konsequenz wurde damit richtigerweise die Eingliederung in kommunale politische Strukturen beendet und die Bedeutung der regionalen Polizeipräsidien gestärkt.
Daraus resultierte die bis heute im Wesentlichen gültige Polizeiorganisation. Diese ist allerdings weiterhin durch eine rein örtliche Führung (zumeist durch die Leitung der jeweiligen Polizeidirektion) aller Dienststellen innerhalb dieser
definierten Räume geprägt. Damit folgt die derzeitige Gliederung der regionalen Polizeipräsidien allerdings kaum einer kriminalistisch fundierten Aufgabenorientierung, sondern ist vor allem an Gebietsgliederungen angepasst.

3. „Organisationsoptimierung 2012“ und „Re-Optimierung 2018“ der rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei
Nach den Landtagswahlen im Jahr 2011 wurden in der Polizei des Landes Rheinland-Pfalz insgesamt sechs Arbeitsgruppen zur Überprüfung der Ablauf- und Aufbauorganisation eingerichtet. Neben der Fortentwicklung der Organisation waren diese Untersuchungen auch vor dem Hintergrund der Schuldenbremse zur Prüfung von Einsparpotentialen beauftragt worden.
Alle Arbeitsgruppen legten ihre Überprüfungsergebnisse vor, so u. a. auch die AG 1 mit einem Vorschlag zur Veränderung einer (reduzierten) Dienststellenstruktur der Polizeiinspektionen in den Polizeipräsidien. Dieses, durch die Polizeipräsidenten erarbeitete Ergebnis, wurde nie umgesetzt. Überwiegend Vorschläge der AG 2 „Kriminalpolizei“ im Jahr 2012 wurden aufgegriffen, was isoliert, also ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept „Einsparpotenziale der Gesamtorganisation“, wirkungsarm bleiben musste. Dieser „Optimierungsprozess“ war nämlich vor allem getragen von dem Bemühen, Führungsstellen bei der Kriminalpolizei durch die Zusammenlegungen z. B. von K 1 und K 2 und den K 4 und K 6 (Umweltkriminalität) einzusparen. Es wurden fachliche Synergien versprochen, die faktisch, der völlig unterschiedlichen Spezialisierungen halber, nie eingetreten sind. Damit wurde bei der Kriminalpolizei gespart, was dauerhafte fachliche Verwerfungen und eine erhebliche Unzufriedenheit innerhalb der Kriminalpolizei nach sich zog. Hinzu trat, dass in einem nächsten Schritt, der Kriminalitätsentwicklung zuwider, an sensiblen Stellen, etwa der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder, auch Sachbearbeiter-Stellen gestrichen wurden. Die „synergetisch fusionierten K 1/K 2“ waren kaum handlungsfähig. Eine Spezialisierung auf die Bekämpfung der Kinderpornographie ist damit faktisch nicht möglich gewesen. Eine Trendwende zeichnete sich im Jahr 2018 ab, sodass u. a. die K 1 und K 2, K 6 und K 7 wieder getrennt wurden. Die Rückabwicklung auch vor dem Hintergrund neuer Schwerpunkte der K 2 (u. a. NCMEC und aktuelle Verschärfung des Sexualstrafrechts) und der K 6 (MIT, Aerbit4), war außerordentlich sinnvoll. Diese Organisationsveränderung ist faktenbasiert fortzuschreiben.

Dass der BDK Rheinland-Pfalz an dieser Stelle die Historie bemüht, ist vor dem Hintergrund der in Ansätzen erkennbaren Verweigerungshaltung zu den Organisationsüberlegungen insgesamt unabdingbar. Es wird mit Hinweis auf  die Organisationsentwicklungen 2012 und 2018 in der Annahme einer gefährlichen „Unruhe in der Organisation“ jeglicher Fachdiskussion die Absage erteilt. Dies verkennt grundlegend die völlig unterschiedlichen Ausgangslagen und Reaktionsstrukturen der Jahre 2011 und 2021.

4. Bewertung der derzeitigen Organisation der rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei
Die Ausrichtung einer polizeilichen Organisation an kriminalgeografischen Räumen ist bei der Bekämpfung der einfachen und zum Teil mittleren Kriminalität weiterhin von Bedeutung. Allerdings ist auch diese Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Kriminalpolizei zunehmend darauf angewiesen, dass eine durchgehende fachliche Steuerung der Prozesse erfolgt. Insofern spricht sich der BDK Rheinland-Pfalz für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bürgernähe und Regionalität einerseits und den immer spezifischeren Anforderungen an das kriminalpolizeiliche Aufgabenportfolio andererseits aus. Nur in der Gesamtschau dieser Aspekte ist eine professionelle und zielführende Aufgabenwahrnehmung durch die Kriminalpolizei dauerhaft gewährleistet.
Gerade die Phänomene der mittleren und insbesondere schweren Kriminalität sind nicht nur national, sondern auch international zu betrachten. Damit sind die geografischen Gesichtspunkte von untergeordneter Bedeutung. Hierfür spricht auch die ab 01. Juni 2021 erfolgte Arbeitsaufnahme der Europäischen Staatsanwaltschaft, die unabhängig von Weisungen der EU und den nationalen Behörden arbeitet und weisungsbefugt ist.
Insgesamt muss ein Umdenken dahingehend erfolgen, dass moderne Polizeiarbeit aufgabenorientiert betrachtet werden muss. Diese Aufgabenorientierung hat die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz bei der Einrichtung des Polizeipräsidiums Einsatz- Logistik und Technik (PP ELT) nach dem Vorbild anderer Bundesländer bereits an dieser Stelle umgesetzt.
Bei der Kriminalpolizei ist allerdings eine derartige Aufgabenorientierung durchgehend nicht festzustellen. Von 21 im Land verteilten Kriminalinspektionen (ZKI und KI) gehören 11 den jeweiligen Kriminaldirektionen am Standort der Präsidien an. 10 Kriminalinspektionen sind den jeweiligen Polizeidirektionen aus geografischen Gründen sowohl hinsichtlich der Fach- als auch Dienstaufsicht zugeordnet. Darüber hinaus befinden sich bei verschiedenen Polizeiinspektionen der Polizeidirektionen Kriminalbeamte in unterschiedlicher Stärke. Die aktuelle Struktur der Kriminalpolizei Rheinland-Pfalz ist somit vor allem hinsichtlich einheitlicher Verantwortungsstrukturen zergliedert, hat mitunter
unterschiedliche Qualitätsstandards, ist weniger leistungsstark bzw. flexibel und dadurch zum Teil ineffizient. Diese Form der Organisation ist, unabhängig  der Frage der Personalzumessung, somit wenig zukunftsorientiert. Dies gilt in
einem besonderen Maße für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Bandendelikte, aber auch der Rauschgiftkriminalität. Die regionale Bekämpfung der „Cybercrime“ überfordert die Organisation, da der Aktionsraum der Kriminalität räumlich nicht zu fassen ist, die Bekämpfung allerdings z. B. in den K 4 örtlich erfolgen soll. Weitere Beispiele sind darüber hinaus Teile der Umweltkriminalität, der Wirtschafts- und politisch motivierten Kriminalität. Die aktuelle kriminalpolizeiliche Organisation entspricht damit bereits jetzt, und zukünftig deutlich verstärkt, nicht mehr den Anforderungen und Möglichkeiten einer leistungsfähigen Organisation.

5. Vergleichende Betrachtung der Organisation am Beispiel des Bundeslandes Baden-Württemberg
Bei der Analyse der Organisationen der kriminalpolizeilichen Arbeit in den unterschiedlichen Bundesländern fällt auf, dass einige Bundesländer (so u. a. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen) eine durchgehend aufgabenorientierte kriminalpolizeiliche Organisationslinie implementiert haben. Dies bedeutet, dass in einem bestimmten Raum (regelmäßig eines Polizeipräsidiums) alle Kriminalbeamtinnen und -beamte innerhalb einer einheitlichen, aufgabenorientierten Organisation zugeordnet sind, sodass bei der Wahrnehmung der Dienst- und Fachaufsicht klare Verantwortlichkeiten erzeugt wurden. Am Beispiel des Bundeslandes Baden-Württemberg ist insofern zu konstatieren, dass seit der Umsetzung der Polizeistrukturreform zum 01.01.2014 korrespondierend zur Anzahl der regionalen Polizeipräsidien zwölf Kriminalpolizeidirektionen (KPDir) installiert wurden. In der Grundstruktur verfügt jede KPDir über eine Führungsgruppe, acht verrichtungszentralisierte Kriminalinspektionen (K 1 bis K 8) sowie ein oder mehrere Kriminalkommissariate (KK). Insgesamt sind 26 KK ergänzend in der Fläche verortet, sodass die „Kriminalpolizei auch in der „neuen Welt“ an jedem Ort einer ehemaligen Kriminalpolizei bürgernah und regional präsent ist. In diesen KPDir verrichten alle Kriminalbeamtinnen und -beamte des jeweiligen regionalen Polizeipräsidiums ihren Dienst. Eine Zuweisung von Kriminalbeamtinnen und -beamten in die Polizeiinspektionen ist seither nicht mehr vorgesehen.

Im Rahmen der Evaluation der Polizeistrukturreform im März 2017 wurde die 2014 neu geschaffene, aufgabenorientierte Struktur bestätigt. In dem Abschlussbericht zur Evaluation findet sich u. a. folgende zusammenfassende Bewertung:

„Hinsichtlich der Verortung der KPDir´en ist einleitend anzumerken, dass diese Frage aufgrund der hochspezialisierten Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Bekämpfung der Schwerstkriminalität
differenzierter zu bewerten ist, als bei anderen
OE´en der Polizei. Die Fläche allein genommen hat zunächst wenig Aussagekraft für die Frage der zielführenden Ermittlungstätigkeit und Aufgabenerledigung durch die Kriminalpolizei.
Entscheidend ist vielmehr, wie oft und aus welchen Anlässen in welchem Einsatzzeitraum verdeckte und offene operative Maßnahmen durch die Kriminalpolizei durchgeführt werden müssen. Die Kriminalpolizei ist grundsätzlich nicht als eine Interventionspolizei, sondern als eine spezialisierte Ermittlungseinheit zu verstehen, die einem permanenten und fortwährenden technologischen Fortschritts- und Entwicklungsdruck ausgesetzt ist und diesem durch fortbildungsbegleitende, fortschrittliche und innovative Ermittlungsmethodik in adäquater Art und Weise begegnen muss.“


Fazit:
Der BDK hält es auch aus Fürsorgeaspekten für die Kolleginnen und Kollegen der Kriminalpolizei für unausweichlich, dass sich die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz den aufgezeigten Problematiken stellt und eine ehrliche, vorbehaltlose und konstruktive Diskussion hierüber beginnt. Bei allen Überlegungen muss dabei ergänzend betrachtet werden, dass sich gerade die Kriminalpolizei in einem Verbund mit Polizeien anderer Bundesländer und anderer Nationen befindet, dessen Bedeutung stetig zunimmt. Der BDK bietet sich an, an dieser Entwicklung mitzuarbeiten.