Sind Beurteilungen und vergleichende Ranglisten in der Polizei noch praktikabel und zeitgemäß?
02.09.2015
Gegenwärtig scheint die dienstliche Beurteilung einen Gott-ähnlichen Charakter zu besitzen. Sie ist die wesentliche (in der Praxis einzige) Grundlage für jede Personalentscheidung und soll sich am Leistungsgrundsatz orientieren. Eine Beurteilung gilt als Führungsmittel und soll den richtigen Einsatz der Beurteilten regeln. Darüber hinaus wird ihr eine große Bedeutung bei der Entfaltung individueller Fähigkeiten, bei der Motivation und der Selbstreflexion der zu Beurteilenden beigemessen. Im Ergebnis sollen die Beurteilungen eine abgestufte und untereinander vergleichbare Bewertung ermöglichen, auf deren Basis dann die Personalentscheidungen getroffen werden. Die Beurteilungen werden für den Zeitraum von drei Jahren getroffen, in denen ein Personalgespräch mit dem Betroffenen geführt werden muss. Die insgesamt zu vergebenen Noten von 1 bis 5 sind dann auch noch festen Vergabe-Quoten unterworfen, die Beurteilungen selbst werden nicht von den direkten Vorgesetzten sondern entfernteren Dienstvorgesetzten und Dienststellenleitern bestimmt.
Soweit einige Ausführungen zum geschriebenen Recht, das regelmäßig von urteilenden Gerichten bestätigt wird. (Quelle: Beurteilungsrichtlinien für die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern (BRL-Pol-MV) vom 23. Juli 2002)
Halten diese Vorgaben jedoch in der Wirklichkeit, was sie zu versprechen scheinen?
Angemerkt sei zunächst, dass hier nicht über schrankenlose, freie Beurteilungen (und damit schwer vergleichbare) gesprochen und geschrieben wird, sondern über vergleichende und nach fixierten Kriterien vorgegebene Einschätzungen im Ankreuzverfahren.
Schon die Bestimmung der Beurteilung als wesentliche Basis für personelle Entscheidungen wie Beförderungen, Stellenbesetzungen oder Umsetzungen greift in der Praxis oft – unvermeidbar – daneben. Der Beschäftigte wird auf seinem aktuellen Dienstposten eingeschätzt. Daraus eine generelle Aussage abzuleiten über seinen Einsatz in allen möglichen, erreichbaren und spezialisierten Posten ist schon mehr als gewagt und praktisch unmöglich. Schon die Unterscheidung in Dienstposten der Schutz-, Wasserschutz-, Bereitschafts- und der Kriminalpolizei oder der Verwaltung zeigt die Verschiedenartigkeit der Funktionen, die sich ja noch in Spezialrichtungen aufteilen. So hält sich denn auch die Zahl der Verteidiger dieser Praxis in sehr überschaubaren Grenzen. Daraus folgt dann, dass dem geltenden Leistungsgrundsatz nicht oder nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann.
Als Führungsmittel ist die dienstliche Beurteilung anzuerkennen, jedoch nicht in der (gut) gemeinten Anwendung. Dem Vorgesetzten wird schließlich bei einer bevorstehenden Personalmaßnahme die Entscheidung abgenommen, welcher der Kandidaten der geeignetste ist. Er ist rechtlich gezwungen, den am besten Beurteilten auszuwählen, sofern er einige Mindestanforderungen erfüllt. Hier überlagert eine Vorgabe wohl den erforderlichen Menschenverstand, denn für eine neue Aufgabe wählt man doch wohl denjenigen Bewerber mit passenden, individuellen Fertigkeiten, gepaart mit einem hohen Intellekt und dem für den neuen Posten notwendigen Fachwissen. So definiert sich sicherlich ein richtiger Personaleinsatz und nicht nach dem Ranglistenplatz einer zweifelhaften Einschätzung. Dass Beurteilungen derweil ihr Ziel verfehlen, ist jetzt sogar wissenschaftlich untersucht und belegt worden.
Beurteilungen und das dazwischen liegende Personalgespräch sollen den Betroffenen motivieren und ihm eine Selbstreflektion ermöglichen. Ebenfalls ein erhabener Anspruch, den die Praxis nicht erfüllt. Beschäftigte, die ihre Aufgaben im Beurteilungszeitraum kritiklos erfüllt haben, erhalten lediglich die Note 3 und bekommen zu hören, dass sie doch eine gute Arbeit leisten. Die Note 3 wiederum bedeutet ihnen, dass in den nächsten drei, sechs oder neun Jahren weder eine gute Stelle noch eine Beförderung auf sie warten, da sie im vergleichenden Ranking mit anderen, gleichrangigen Beschäftigten weit hinten liegen. Wohl bedingt durch das Wirken der menschlichen Psyche wirkt also eine mäßige Beurteilung wie auch ein Personalgespräch, das von Fehlern und Schwächen spricht, eher demotivierend. Diese demotivierende Wirkung haben übrigens jüngste Forschungen im anglikanischen Raum bestätigt. Immer mehr Unternehmen verzichten auf Personalgespräche und einen an Hand fraglicher Daten vorgenommenen Vergleich ihrer Mitarbeiter, weil die Gespräche wenig einbringen und Einschätzungen nach Kennzahlen wenig über tatsächliche Motivation, Sorgfalt oder Entwicklung des Mitarbeiters hergeben. Dabei ist nichts gegen Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zu sagen, wenn sie regelmäßig und bei einem direkten Anlass erfolgen. Problematisch seien lediglich die formellen, vorgeschriebenen Jahresgespräche (hier geht es zur Quelle)
Die geforderte abgestufte und untereinander vergleichbare Bewertung erweist sich folglich als Rohrkrepierer, und wird noch potenziert durch beschränkende Quoten einzelner Noten und Beurteiler, die viele ihrer Beurteilten allerhöchstens namentlich kennen, deren Leistungen aber kaum einschätzen können. Das Ranking führt zu einer unsinnigen Konkurrenzsituation unter den Beschäftigten und zerstört immer mehr das noch vorhandene Vertrauen untereinander. Eventuell ist diese schädigende Gegnerschaft auch gewollt, denn sie bevorzugt automatisch die Ja-Sager und Ellenbogenkämpfer. Wer kennt ihn nicht, den typischen Spruch „Leistung lohnt sich bei uns nicht!“?
Damit scheint aus unserer Sicht die zuerst gestellte Frage beantwortet. „NEIN“, Beurteilungen in der bisherigen Form und vergleichende Ranglisten sind nicht mehr akzeptabel und zeitgemäß.
Und jetzt die große Frage. Wenn nicht so, auf welche Weise sollen dann Beschäftigte ausgewählt werden?
Bei Stellenbesetzungen scheint das Problem klein zu sein. Jeder Beschäftigte bringt seine individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten mit und bei einer neu zu besetzenden Stelle wird ausschließlich nach diesem vorhandenen Wissen und Können ausgewählt. Bei Beförderungen werden wir um die (Wieder-)Einführung von Verweil- oder Standzeiten nicht umhinkommen, mit besonderen Regelungen für herausragende und auch schlechte Leistungen.
Wichtiger als Beurteilungen in der jetzigen Form scheinen uns tatsächliche, individuelle Karrierepläne zu sein, die gemeinsam mit dem Mitarbeiter aufgestellt werden, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten berücksichtigen und dann auch wirklich motivierend auf ihn wirken. Bei einer solchen inhaltlichen und sinnvollen Reform sind wir als Berufsverband der kriminalpolizeilich Beschäftigten gerne vorn mit dabei und bieten den Verantwortlichen jedwede Hilfe und Unterstützung an.