Rassismusvorwürfe in der Polizei
25.09.2020
Einzelfälle. Das ist nach wie vor die offizielle Bezeichnung von Fällen, in denen Personen aus Polizeibehörden ihre rassistische Gesinnung offenbaren. In der öffentlichen Diskussion wird die Theorie der Einzelfälle jedoch zunehmend angezweifelt.
Solange rassistisches und diskriminierendes Handeln von einzelnen Polizist*innen - und Mitarbeiter*innen anderer Sicherheitsbehörden - das Ansehen dieser Berufsgruppen schädigen, werden pflichtbewusste Mitarbeiter*innen diskreditiert.
Die Verfahren der Bundesanwaltschaft gegen die Gruppe „Nordkreuz“, den ehemaligen Soldaten Franco A., die Vorkommnisse im KSK der Bundeswehr sowie die Ermittlungen zum sogenannten „NSU 2.0“ zeigen, dass bereits seit Jahren rechtsradikale und rassistische Einstellungen – teilweise sogar rechtsextreme Gesinnungen – innerhalb der Polizei, Bundeswehr und der Nachrichtendienste existieren.
Umso größer ist die Enttäuschung über die wiederholte Absage von Horst Seehofer an eine wissenschaftliche Studie zur Thematik. Die Konsequenz ist nun, dass der überwiegend rechtsstaatlich arbeitende Teil eben jener Sicherheitsbehörden sich mit dem Vorwurf des Rassismus auseinandersetzen muss und die ganze Berufsgruppe daran gemessen wird. Auch innerhalb der Polizei und den Polizeigewerkschaften wird diese Thematik kontrovers diskutiert.
Eine differenzierte Aufarbeitung von (Einzel-)Fällen ist erst nach Erhebung des Sachstandes möglich. Wie weit verbreitet ist Gedankengut, das der freiheitlich demokratischen Grundordnung widerspricht? Gibt es Kontrollinstanzen, die dem Vorbeugen können? Haben diese Kontrollinstanzen in der Vergangenheit versagt?
Die kategorische Absage einer Untersuchung zu Rassismus innerhalb der Polizeibehörden vermittelt den Eindruck, als sei die Beantwortung dieser Fragen nicht gewollt.
Wie aber sonst verhindern wir einen „NSU 3.0“? Und kann eine wissenschaftliche Studie wirklich Allheilmittel sein?
Neben der absoluten Notwendigkeit der wissenschaftlichen Aufarbeitung reicht es nicht, auf eine Studie abzustellen und deren Ergebnisse abzuwarten.
Die oben genannten Fälle zeigen deutlich, dass es ein Problem gibt, bei dem ein sofortiges Handeln notwendig ist, egal ob man es als Häufung von Einzelfällen oder als strukturelles Problem bezeichnet.
Allerdings muss bei der Betrachtung der Thematik hervorgehoben werden, dass es sich um eine vielschichtige Problemstellung handelt, bei der u.a. komplexe soziologische, psychologische, historische und politische Aspekte und Dimensionen relevant sind.
All diese Dimensionen müssen thematisiert und adressiert werden, und zwar nicht nur in Form einer Studie.
Eine einfache und schnelle Lösung dieses Problems zu erwarten, wäre jedoch utopisch – selbst mit validen Ergebnissen einer Studie. Umso wichtiger ist es, umgehend mit konstruktiven und zielführenden Maßnahmen zu beginnen.
Aus Sicht des BDK im BKA müsste hierfür zum einen die öffentliche Diskussion zur flächendeckenden Einrichtung von neutralen Polizeibeschwerdestellen und Polizeibeauftragten sachlich geführt werden. Die in diesem Zusammenhang auftretenden reflexartigen Verweise auf ein entstehendes „Denunziantentum“ oder die Förderung eines Generalverdachts gegenüber Polizist*innen sind nicht zielführend und verhindern eine professionelle Auseinandersetzung mit der Thematik.
Zum anderen müssen die Polizeiorganisationen den Blick „nach innen richten“ und einer ehrlichen Betrachtung und Analyse der eigenen Organisation offen gegenüberstehen.
Letztlich entsteht Vertrauen in die Polizei durch deren Professionalität und Integrität. Diese müssen auf allen Ebenen und in allen Bereichen vorherrschen – hieraus resultiert die Verantwortung für jede / jeden Einzelnen, aktiv gegen rassistisches und diskriminierendes Verhalten vorzugehen.
Darüber hinaus muss sich insbesondere die Ebene der Vorgesetzten in den Polizeiorganisationen einig darüber sein, dass ein konsequentes und stringentes Vorgehen gegenüber rassistischen und diskriminierenden Äußerungen und Handlungen aller Art Aufgabe der Vorgesetzten ist. Den Führungskräften und Vorgesetzten auf allen Hierarchieebenen kommt hier besondere Verantwortung zu, die es zu akzeptieren und zu übernehmen gilt.
Ziel muss sein, dass Veränderungen und Verschiebungen des Wertekanons von Mitarbeiter*innen (übrigens egal in welche Richtung) festgestellt werden, um frühzeitig intervenieren zu können. Hierfür gäbe es bereits jetzt wirksame Instrumente, die in der Praxis aber eher selten konsequent und durchgehend genutzt werden.[1]
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass nicht auf Ergebnisse einer Studie gewartet werden kann, die noch nicht beauftragt ist – viel mehr muss jede Polizeibehörde umgehend in Aktion treten, um weiteren Vertrauensverlust der Bevölkerung zu vermeiden.
[1] z.B. regelmäßige Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, kontinuierliche Supervisionsgespräche mit professionalisiertem Personal, umfassende De-Briefings nach belastenden Einsätzen oder konsequente Rotationskonzepte (Aufzählung nicht abschließend)