Polizei-Taxis zur nächsten Abschiebung
17.01.2020
"Es ist kein seltener Einsatz für die Polizisten in Sachsen-Anhalt: Sie treffen in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) in Halberstadt vor einigen Tagen einen 33-jährigen Mann aus Mali an. Gegen ihn liegt ein gerichtlicher Abschiebehaftbefehl vor, weil bei ihm der Verdacht des „Untertauchens“ besteht. Dieser ist Voraussetzung dafür. Nach langen Telefonaten mit dem Gemeinsamen Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) in Berlin steht fest: Aktuell ist nur noch in Pforzheim ein Platz zur Sicherung der Ausreise frei. Beamte der Polizeiinspektion Magdeburg machen sich mit ihm auf den Weg nach Baden-Württemberg – hin und zurück mehr als tausend Kilometer. Landeschef der Gewerkschaft der Polizei Uwe Bachmann: „In dieser Zeit fehlen uns die Kollegen in Sachsen-Anhalt. Das ist doch eine Farce.“ 75 solcher vollzogenen Abschiebehaft- und Sicherungsbefehle gab es 2019, so das Innenministerium. Demgegenüber stehen mehr als 4800 Ausreisepflichtige und 480 vollzogene Abschiebungen bis Ende November.
Das Innenministerium verweist darauf, dass seit April 2019 wenigstens fünf Abschiebehaftplätze in Hannover-Langenhagen mitgenutzt werden können. Das ist aber viel zu wenig. Und auch dorthin sind es noch 300 Kilometer (hin und zurück), die Polizisten für fast einen Tag blockiert. Der Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Peter Meißner kritisiert: „Wir haben doch wichtigere Aufgaben als Taxi zu spielen.“
Falls überhaupt irgendwo ein freier Platz in Deutschland gefunden wird. Allein im Jahr 2018 hat die ZUR in 89 Fällen vom Land angefragte Plätze abgelehnt (für 2019 werden die Zahlen erst Ende Januar erwartet). In diesen Fällen musste der Haftbefehl ausgesetzt werden. Lars Fischer vom Innenministerium: „Fehlende Haftplätze stellen einem Grund für die unzureichenden Rückführungszahlen dar, wie die hohe Anzahl untergetauchter Ausreisepflichtiger belegt.“ Eine Entspannung der Lage ist auch in ganz Deutschland nicht in Sicht. Bundespolizeipräsident Dieter Romann sagte erst Ende Dezember „Zeit-online“, dass 577 Plätze in den Ländern „zu wenig“ sind.
Sachsen-Anhalt will per Beschluss vom 25. August 2017 zwar in Dessau 30 eigene feste Plätze in der ehemaligen JVA bauen. Doch das Finanzministerium arbeitet noch immer an einer Planungsunterlage. Vor 2022 ist eine Fertigstellung unrealistisch.
So bleibt als Notlösung nur die durch eine aktuelle Gesetzeslage bis 2022 ermöglichte Nutzung von U-Haft-Plätzen der Justiz (getrennt von normalen Strafgefangenen). Infrage kommen die JVA Burg, Halle und Raßnitz (nur 18 bis 27 Jahre). Allerdings: Auch dort sind die Zellen nur begrenzt. Wenn die Justiz selbst ihre Plätze benötigt, könnten die bis zu 15 aus rechtlichen Gründen speziell ertüchtigten Räume nicht alle genutzt werden. Am Dienstag soll das Kabinett darüber beraten."
Der BDK forderte eine zeitnahe Lösung und insbesondere die Nutzung der sachsen-anhaltischen JVAen für Abschiebehaftplätze.
Das MI Sachsen-Anhalt hat promt auf die Forderungen des BDK reagiert:
In einer Pressemitteilung des Innenministeriums vom 15.01.2020 heist es:
"Unterbringung von Abschiebungshaftgefangenen
Sachsen-Anhalt nutzt Justizvollzugsanstalten
Sachsen-Anhalt nutzt ab sofort die durch den Bundesgesetzgeber geschaffene Möglichkeit, Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam nicht nur in speziellen, sondern auch in sonstigen Haftanstalten unter Beachtung des Gebotes der getrennten Unterbringung von Strafgefangenen zu vollziehen. Über die hierzu mit dem Ministerium für Justiz und Gleichstellung erfolgte Übereinkunft informierte Innenminister Holger Stahlknecht die Landesregierung in ihrer gestrigen Kabinettssitzung.
Die in Dessau-Roßlau vorgesehene Errichtung und Inbetriebnahme einer gesonderten Abschiebungssicherungseinrichtung befindet sich gegenwärtig in der Planungsphase.
Abschiebungsgefangene können nunmehr in den U-Haft-Bereichen der Vollzugsanstalten Burg und Halle sowie der Jugendstrafanstalt Raßnitz (18- bis 27-Jährige) untergebracht werden. Je nach Auslastung der Einrichtungen können insgesamt bis zu 15 Plätze für den Vollzug der Abschiebungshaft und des Ausreisegewahrsams genutzt werden. Diese Regelung ist bis zum 30. Juni 2022 befristet.
Innenminister Holger Stahlknecht: „Mit der Unterbringung von Abschiebungsgefangenen in Haftanstalten stellt das Land Sachsen‑Anhalt den erfolgreichen Vollzug von Rückführungsmaßnahmen sicher. Damit haben wir jetzt die Möglichkeiten verbessert, Rückführungen zeitnah und konsequent umzusetzen.“
Hintergrund:
Sachsen-Anhalt verfügt bislang nicht über eine eigene Abschiebungseinrichtung. Die Ausländerbehörden Sachsen-Anhalts nutzen derzeit zur Unterbringung von Abschiebungshaftgefangenen die Abschiebungshaft- und Ausreisegewahrsamseinrichtungen anderer Bundesländer unter Vermittlung des Gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR). Als weitere Übergangslösung bis zur Inbetriebnahme der eigenen Abschiebungssicherungseinrichtung in Dessau-Roßlau hat das Ministerium für Inneres und Sport mit dem Land Niedersachsen einen Vertrag über die Gestellung von fünf für Sachsen‑Anhalt vorgehaltenen Plätzen in der Abschiebungshafteinrichtung Langenhagen geschlossen, der seit April 2019 zur Anwendung gelangt."
BDK bewegt!