Knattertonehrenmützenverleihung 2023
25.06.2023
Bei bestem norddeutschem Wetter (hiermit ist ausnahmsweise tatsächlich blauer Himmel, Hitze und strahlender Sonnenschein gemeint!) hat der BDK Schleswig-Holstein am 07.06.2023 im Bootshaus 1862 an der Kieler Förde die diesjährige Knattertonehrenmütze verliehen.
Wetterunangepasst erschienen die Gäste in bester Garderobe. Nicht nur die vielen Schultern mit blitzendem Gold, auch namhafte Personen aus der Politik und unserer Knattertonhistorie freuten sich auf die diesjährige Preisträgerin und die Darstellung ihrer Verdienste im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Während unser stellvertretender Landesvorsitzender Stephan Nietz gewohnt souverän und herzlich die Festgesellschaft begrüßte, wurden kleine und sehr feine Häppchen mit Lachs oder Roastbeef serviert. Kein Matjes mehr? Nachdem wir mittlerweile in einer anderen Location feiern und einen neuen Terminturnus gefunden haben, wurde nun auch mit der dritten Tradition gebrochen: Ja, kein Matjes mehr.
Doch halt! Unsere Preisträgerin erzählte in einem ihrer vielen Podcastauftritte, wie sie Texteinstiege mit Beschreibung der Örtlichkeit und Bekleidung der Menschen langweilen. Oder habe ich Sie falsch verstanden? Als Kriminalbeamter liegen mir (leider?!) zumeist trockene Ermittlungsberichte, die so kurz wie möglich und so ausführlich wie nötig die wichtigsten Fakten und Beobachtungen zusammentragen. Doch solch ein Bericht wird an dieser Stelle unserer Preisträgerin Frau Sabine Rückert nicht annähernd gerecht! Also sollte zu ihren Ehren ein Text erscheinen, der – sollte sie ihn vielleicht sogar lesen – sie zumindest zu der Aussage „Joa, er war halt bemüht...“ bewegt. Versuchen wir es so:
Liebe Frau Rückert! Herzlichen Glückwunsch zu der schicken Knattertonehrenmütze, die sie laut der ebenso überreichten Urkunde nun auch zu „höchst offiziellen Anlässen“ tragen dürfen. Doch zuallererst wollen wir uns bei Ihnen bedanken! Statt bei diesem schönen Wetter am Meer oder im Garten zu sitzen oder nach einem vermutlich langen Tag in der Chefredaktion der Wochenzeitschrift Die ZEIT ‚die Türen hinter sich zu schließen‘, sind Sie gemeinsam mit ihrem Mann zu uns nach Kiel gefahren, um von uns die Auszeichnung in Empfang zu nehmen.
Vor der Veranstaltung stellte sie sich sicherlich drei Fragen: „Wer ist eigentlich dieser Nick Knatterton, warum wird da eine Mütze verliehen und warum soll ich diese erhalten?“. Die erste Frage konnte ihr noch das Internet beantworten. Auch ihre Laudatorin Birte Diethelm begann mit den Gedanken zu dieser Frage: Dieser markante, großkarierte, spitzgesichtige Comic-Meisterdetektiv mit dem Markenzeichen einer schmucken Schirmmütze war eigentlich als Parodie auf „Superman“ gemeint gewesen, aber zu ungeahntem Ruhm gekommen. Sogar Kinofilme über seine Abenteuer waren große Erfolge!
Die zweite Frage ist für uns junge BDKler nicht mehr so leicht zu beantworten. Denn bereits seit 1975 verleiht der BDK Schleswig-Holstein fast jährlich die Nick-Knatterton-Ehrenmütze und der Ursprung geriet fast in Vergessenheit. Mithilfe der Erinnerungen unseres langjährigen Büroleiters Kalle Kühl zeichnete Birte Diethelm das historische Bild einer Amtsstube, in der Kriminalbeamte beisammensitzen und rauchen. Damals stiegen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik stetig und neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung wurden gebraucht, die Gesellschaft sollte auf ihre Mitverantwortung hingewiesen werden. Etwas Geselliges und Kreatives schien sinnvoll. So rief der damalige Landesvorsitzende das jährliche Knatterton-Gespräch mit einer Ehrenmützenverleihung des damals allbekannten Nick Knatterton ins Leben.
Der Höhepunkt einer jeden Laudatio – so auch dieser – ist das ausführliche Begründen der Entscheidung für die Preisverleihung: Bereits seit 1988 hat Sabine Rückert sich der Kriminalberichterstattung gewidmet. Zuerst noch bei der Bild-Zeitung, zunehmend unzufrieden mit der rücksichtslosen Art des Journalismus, der nur die Lust an der Sensation befriedigt. Schließlich landete sie ab 1992 bei der Wochenzeitung Die ZEIT. Als Gerichts- und Kriminalreporterin recherchierte sie fortan beinahe 20 Jahre lang zu allen Arten von Kriminalfällen und allen dafür relevanten wissenschaftlichen Bereichen wie beispielsweise der Psychologie, der Anatomie, der Kriminalistik, der Kriminologie oder der Rechtsmedizin. Mit ihrem Buch „Tote haben keine Lobby“ aus dem Jahr 2000 veröffentlichte sie ein fundiertes Sachbuch über unentdeckte Tötungsdelikte.
Insbesondere ihrem erworbenen Gespür für kriminalistische Fragestellungen verdanken wir einige ihrer bedeutendsten Fallrecherchen.
Anfang der 2000er Jahre recherchierte sie in dem komplexen Fall ‚Amelie‘, der Mitte der 90er Jahre stattgefunden hatte. Aufgrund Amelies Aussage waren ihr Vater und ihr Onkel wegen mehrfacherer Vergewaltigung zu ihrem Nachteil verurteilt worden. Frau Rückert recherchierte zusätzlich zu den Fallakten akribisch und entdeckte zahlreiche gravierende Ungereimtheiten und maßgebliche Hinweise auf die Unschuld der beiden Männer, dass beide schließlich in einem Wiederaufnahmeverfahren wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wurden – die psychisch schwerkranke Amelie hatte die Vorfälle frei erfunden.
Sogar die Gefahr, selbst in das Kreuzfeuer der Kritik zu geraten, hielt Sabine Rückert nicht davon ab, für die Wahrheit und die Gerechtigkeit Artikel zu veröffentlichen. So erhielt sie in dem Fall Kachelmann bereits während des laufenden Verfahrens die umfangreichen Ermittlungsakten zugespielt und konnte sich von seiner Unschuld überzeugen. Ihr presserechtlich einwandfreier Artikel löste einen „Shitstorm“ aus, der sich persönlich gegen Frau Rückert richtete. Wie im Fall Amelie gab auch hier das freisprechende Urteil für Jörg Kachelmann ihren Recherchen und Berichterstattungen recht.
Unser Bundesvorsitzender Dirk Peglow verglich in seinem Grußwort die Arbeit unseres Berufsverbands mit der journalistischen Arbeit Frau Rückerts: Beide prangern wir die Missstände innerhalb der Ermittlungsbehörden an.
Gehört das nicht zur grundlegenden Tätigkeit einer Journalistin? Was also ist daran so besonders? Gibt es doch viele Journalistinnen und Journalisten die großartige Arbeit in den verschiedensten Medienformaten leisten. Aber eben auch viele andere. Nicht nur dass unsere Welt immer schneller wird, auch die Berichterstattung wird regelmäßig oberflächlicher, vorverurteilender, reißerischer. Presseberichte interpretieren oft mehr in Polizeimeldungen hinein, als diese Platz dafür bieten. Umso wichtiger wird es, qualitativ hochwertigen Journalismus, der sachlich fundiert berichtet und dabei kritisch hinterfragt oder sogar Fehler aufweist, als solchen auch herauszustellen. Auch Frau Rückert machte sich in Ihrer Dankesrede stark für die sogenannte 4. Gewalt und ihre wichtige und notwendige gesellschaftliche Stellung.
Denn eine Alltäglichkeit wie ein Flugzeug, welches sicher landet ist keine Berichterstattung wert. Ein Flugzeug, das abstürzt schon.
Frau Rückert erzählt keine Geschichte, die halbherzig oder schlecht recherchiert ist, um Klicks zu generieren. Sie räumt der Kriminalberichterstattung den notwendigen Platz ein und scheut auch keine Kritik an dem staatlichen Justizapparat. Das ist wichtig und richtig, denn fehlerhafte Polizeiarbeit beeinträchtigt maßgeblich das Leben der betroffenen Menschen. Täter können aufgrund von fehlerhafter Arbeit freikommen, andere werden unter Umständen zu Unrecht verurteilt. Diese Ergebnisse liegen selbstverständlich nicht in unserer Absicht, doch sie kommen leider vor.
Ausführliche und sachliche Berichte über Unzulänglichkeiten in Polizei und Justiz lassen uns nicht vor Freude aufspringen. Was in jedem Fall nicht an der Berichterstattung, sondern an dem verursachten Unrecht liegt. Denn die meisten von uns sind mit Herz und Seele Kriminalistin oder Kriminalist. Mit sachlicher Kritik müssen und wollen wir umgehen. Darum ist unser tägliches Ziel, dass wir an dieser Stelle nicht nur das Urteil „Sie waren immerhin stets bemüht“ lesen. Wir hoffen sehr, dass Sie, liebe Frau Rückert, weiterhin in dieser Ihnen eigenen sachlichen und spannenden Weise berichten, Fehler ansprechen und jene Qualitäten an die nächste Generation von jungen Journalistinnen und Journalisten weitergeben.
Birte Diethelm ist sich sicher – und wir sind es nach diesem Abend auch: Nick Knatterton wäre hoch erfreut und stolz, dass Frau Rückert nun eine seiner Mützen trägt. Ihr Handeln zeigt, dass die Kriminalitätsbekämpfung und -verhütung nicht nur die Aufgabe der Polizei und der Justiz ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt.
Liebe Frau Rückert, wir hoffen Sie hatten einen schönen Abend mit uns – denn wir hatten diesen definitiv! Wir freuen uns, Sie nächstes Jahr als „alte Häsin“ wieder beim Knatterton-Gespräch begrüßen zu dürfen.
Frederik Fidora
#Knattertonehrenmützenverleihung