Interview: G20-Gipfel ist aus Sicht der Polizei ein Pulverfass
02.04.2017
Am 7. und 8. Juli treffen sich in der Hansestadt die wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt, darunter auch US-Präsident Donald Trump, Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Heilbronner Stimme sprach mit Jan Reinecke, Hamburger Landeschef des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, über die Vorbereitungen auf den Gipfel und die Stimmung in der Polizei.
Herr Reinecke, der G20-Gipfel findet mitten in Hamburg statt…
Jan Reinecke: Die politische Entscheidung, den G20 Gipfel in Hamburg stattfinden zu lassen, wird die Stadt womöglich teuer zu stehen kommen. Politiker, die die vorgetragenen strategischen Bedenken von Polizei- und Gewerkschaftsführern mit Basta-Rhetorik, wie etwa 'das muss eine Demokratie aushalten können', weggewischt haben, werden nach dem Gipfel die Verantwortung zu tragen haben.
Welche Bedrohungslagen sind vorstellbar?
Jan Reinecke: Es gibt zahlreiche Bedrohungsszenarien, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar und gerade deswegen nicht zu verhindern sein werden. Beispielhaft seien hier die jüngsten Anschläge des islamistischen Terrorismus in oder auf europäischen Großstädten genannt, bei denen mit Alltagsgegenständen - Pkw, Küchenmesser - abscheuliche Verbrechenstaten verübt wurden. Neben der häufig benannten abstrakt hohen Gefahr vor Terroranschlägen dürfte auch das aktuelle geopolitische Weltgeschehen weitere Gründe liefern, die den G20-Gipfel aus polizeilicher Sicht zu einem Pulverfass werden lassen könnten. Was würde beispielsweise passieren, wenn der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan seine erpresserische Drohung, die in der Türkei festgehaltenen Flüchtlinge nach Europa weiterziehen zu lassen, vor dem Beginn des G20-Gipfels wahrmachen würde? Würde dies nicht auf Schlag sämtliche Kapazitäten von Bund- und Länderpolizeien aufbrauchen?
Überhaupt sollte damit gerechnet werden, dass das aktuelle Vorgehen einiger, nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdiger Gipfelteilnehmer gegen Oppositionspolitiker, Journalisten oder Bevölkerungsminderheiten in deren eigenen Ländern zu Mobilisierung unterschiedlichster und häufig leider auch gewaltbereiter Gruppierungen für den G20 Gipfel führen wird.
Müssen die bislang eingeplanten Kräfte weiter aufgestockt werden?
Jan Reinecke: Die Einsatzkräfte werden durch Bund und Länder aufgestockt. Allein die Hamburger Kriminalpolizei benötigt mehrere hundert auswärtige Ermittlungskräfte. Diese wurden aktuell beim Bund und den Ländern angefordert. Die Gestellung wurde aber noch nicht zugesagt. Ferner bleibt zu hoffen, dass der arg zusammengesparten Hamburger Kriminalpolizei diese Kräfte auch noch nach dem Gipfel zur Abarbeitung der zahlreichen, während oder im Zusammenhang mit dem G20 Gipfel entstandenen Straftaten zur Verfügung gestellt werden, denn die Alltagsarbeit geht bekanntlich weiter.
Wird Hamburg ausreichend unterstützt vom Bund?
Jan Reinecke: Bisher ist davon auszugehen. Allerdings betrifft bereits der
in der linken Szene angekündigte Aktionsmonat April das gesamte Bundesgebiet,
was bedeutet, dass der Bund und die Länder auch Kräfte zur Bewältigung ihrer
eigenen Lagen benötigen werden. Somit wird die Unterstützung durch den Bund und
die Länder endlich sein. Ferner wird bis und auch während des G20-Gipfels in
der Bunderepublik Deutschland polizeilicher Alltag herrschen. Sprich, die
Länderpolizeien werden beispielsweise die üblichen Demonstrationslagen oder
auch Sportveranstaltungen zu begleiten haben, was reichlich polizeiliche Kräfte
binden wird. Und da alle Länderpolizeien und auch der Bund unter erheblichen
Personalmangel leiden, wird nur eine begrenzte Anzahl an Einsatzkräften Hamburg
als Unterstützung zur Verfügung gestellt werden können. Ferner findet der
G20-Gipfel mitten in der Sommerurlaubszeit statt und es bleibt zu hoffen, dass
die übrigen Bundesländer und auch der Bund es Hamburg gleichgemacht haben und
Urlaubssperren für die Polizeibediensteten verhängt wurden. Rückgriffsmöglichkeiten
auf das Militär oder andere Verwaltungsbehörden wie z.B. den Zoll fallen nicht
zuletzt verfassungsbedingt aus.
Vergleichbare Gipfel wurden auch schon einmal abseits der Großstädte abgehalten…
Jan Reinecke: Tatsächlich sollte die Freie- und Hansestadt Hamburg eine Lage wie den G20-Gipfel aushalten können. Doch zu welchem Preis? Manch ein Hamburger Polizist denkt in diesen Tagen jedenfalls mit sehr viel Wehmut an den im Jahr 2015 im Bayerischen Elmau veranstalteten G7-Gipfel zurück. Denn dieser fand in einem fünf Sterne Schlosshotel statt, welches umringt wird von einem bewaldeten Gebirge und damit geographisch schwer erreichbar war. Der weit größere G20-Gipfel findet hingegen in den Hamburger Messehallen statt und diese umringt die Hamburger Innenstadt.
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