"In Nordrhein-Westfalen werden die bekämpft, die eigentlich Kriminalität bekämpfen sollen - die Kriminalpolizei"
17.11.2009
Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die Kriminalität in zahlreichen Deliktsfeldern quantitativ und qualitativ dramatisch verändert hat. Neue Deliktsphänomene sind hinzugekommen und dominieren zunehmend die Kriminalitätslandschaft. Den ortsansässigen Einbrecher gibt es zwar noch immer, aber gut organisierte ausländische Diebesbanden, die häufig ausschließlich zur Straftatenbegehung einreisen, haben ihm inzwischen den Rang abgelaufen.
Der Hehler in der Eckkneipe ist vom Aussterben bedroht, dafür blüht und boomt die Hehlerei im Internet.
Autodiebe, mit geringem fachlichem Know-how, die früher mal eben ein Fahrzeug "kurzgeschlossen" und entwendet haben, scheitern heute an Wegfahrsperren. Inzwischen tummeln sich hochversierte und auf Kfz-Verschiebung spezialisierte Autodiebe, die mit Laptop und spezieller Software anreisen und auf Diebestour gehen.
Das Internet ist zum unbeherrschbaren Tummelplatz von Straftätern aller Art geworden, die auf höchstem technischem Niveau und vor allem weltweit im Sekundentakt agieren.
Die organisierte Kriminalität, das Rotlichtmilieu, der Drogen- und Menschenhandel sind in den Händen weltweit agierender Verbrecher, die im Gegensatz zur Polizei an keinerlei Grenzen Halt machen müssen und über modernste Kommunikationswege verfügen.
Diese Auflistung ließe sich seitenlang fortsetzen. Sie möge aber ausreichen, um deutlich zu machen, dass wir es in NRW mehr und mehr mit gut organisierten, überregional und international agierenden Straftätern zu tun haben.
Wie begegnet nun der Innenminister dieser Spirale einer Kriminalitätsentwicklung, deren Ende noch nicht erkennbar, deren Verlauf aber prognostizierbar ist?
Er reagiert mit
- einer noch immer nicht landeseinheitlichen (Kriminal-) Polizeiorganisation.
- einer inhaltsgleichen Ausbildung zum Allroundpolizisten, der viele lange Jahre bei der Schutz- und Bereitschaftspolizei verbringen muss, ehe er zur Kriminalpolizei wechseln kann.
- der Abschaffung des Ausbildungsberufs Kriminalist und der Reduzierung desselben auf einen reinen Fortbildungsberuf, den man "by the way" erlernen kann.
- dem Verhindern von jungem Nachersatz durch Verweigerung einer speziellen Ausbildung für die Kriminalpolizei und dem solchermaßen sofort möglichen jungen Nachwuchs. Die lange vorhersehbaren hohen Pensionierungszahlen der nächsten Jahre führen dazu, dass erhebliches Know-how aus der Kripo abfließt. Junger Nachersatz und Zuwachs ist nicht in Sicht, der dringend notwendige Wissenstransfer ist nicht mehr gewährleistet.
- der Verweigerung eines modernen Fahrzeugparks für die Kripo.
- dem Zulassen einer immer älter werdenden und völlig arbeitsüberlasteten Kriminalpolizei - hierbei sind die Landratsbehörden besonders betroffen. Kriminalwachen werden teils aufgelöst und durch "Rufbereitschaften" ersetzt.
- einer falschen Schwerpunktsetzung beim Personaleinsatz, weil eine sich inhaltlich verändernde Kriminalität und die deutlich schwierigere Art der Ermittlungs- und Beweisführung bei der Personalzuweisung im Lande keine Rolle spielen. Personalzuweisung erfolgt nur nach Fall- und Einsatzzahlen, die dahinter stehenden Arbeitsvolumina spielen keine Rolle. Viele kriminalpolizeiliche Tätigkeiten (z.B. Leichen-, Brand- und Vermisstensachen) fließen in keine Statistik ein.
- einer durch blinden Aktionismus geprägten Kriminalpolitik, die nur noch reagiert und nicht mehr agiert. So werden Maßnahmen gegen Schwerstkriminelle (z. B. "Rocker-Krieg" und ŽNdrangheta) nur noch als "Nadelstiche" empfunden. Eine dauerhafte Kontrolle dieser und anderer schwerer Kriminalitätsformen ist mit dem noch hoch engagierten und motivierten Personal der Kriminalpolizei quantitativ nicht mehr zu gewährleisten.
- einer durch nichts zu begründeten Verlagerung von rund 500 hoch dotierten Stellen von der Kriminal- zur Schutzpolizei, die bei den Leistungsträgern in der Kripo zu Frustration, Demotivation und lähmendem Entsetzen führt. Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte mit großer Berufserfahrung in allen Facetten der Kriminalitätsbekämpfung, die sich zur Zeit noch in diesen Funktionen befinden, werden seitens des Ministers und seiner Berater als "Fehlbesetzungen", "Fehlsitzer" und "Altfälle" diffamiert, müssen zukünftig ihre bisherigen Stellen räumen und sich in der Polizei anderweitig orientieren. Innenminister Dr. Wolf nimmt bewusst damit verbundene Qualitätsverluste und die Vernichtung von Haushaltsmitteln, die in die Fortbildung dieser Mitarbeiter geflossen sind, in Kauf.
Anstatt bei der Kriminalpolizei in Qualifizierung, ausreichende Personalausstattung und angemessene Besoldung zu investieren, tritt der Innenminister die Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamten dieses Landes mit Füßen.
Ihn interessiert nicht, wie die Belastungssituationen in vielen Kriminalkommissariaten des Landes aussehen. Ihn interessiert nicht, wie komplex sich Straftaten inzwischen darstellen und wie schwierig sich kriminalpolizeiliche Ermittlungen gestalten. Ihn interessiert nicht, dass für teures Geld erworbenes Spezialistenwissen abwandert, wenn Kriminalisten zur Schutzpolizei wechseln (müssen), um dort befördert werden zu können.
Ihn interessiert nicht, dass ihm hoch qualifizierte Kommissariatsleiter, Mord- und Ermittlungskommissionsleiter sowie engagierte Sachbearbeiter das Vertrauen entziehen und Demotivation und Frustration um sich greift.
Und deshalb kommt der BDK folgerichtig zu der Bewertung, dass dieser Innenminister in NRW die Kriminalpolizei und nicht die Kriminalität bekämpft.
Der BDK fordert den Innenminister zum wiederholten Male auf:
Sofortige Auflage eines 6-Punkte-Programms:
- Die Kriminalpolizei ist bis 2015 um 2000 Stellen zu verstärken
- Direkte Verwendung von mindestens 200 Fachhochschulabsolventen in der Kriminalpolizei unmittelbar nach ihrer Ausbildung jährlich für 2009 und 2010 - ab 2011 mindestens 400 Absolventen der Fachhochschule
- Einführung des Direkteinstieges von Abiturientinnen und Abiturienten in die Kriminalpolizei ab 2010 und Schaffung eines Auswahlverfahrens, das auf die Anforderungen des Berufes abstellt
- Einführung eines eigenen Bachelorstudienganges "Kriminalwissenschaften" an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (FHöV) ab 2010
- Ständige Evaluierung der Fortbildung für Kriminalistinnen und Kriminalisten unter Berücksichtigung veränderter Kriminalitätsphänomene und damit verbundener Beweisanforderungen
- Rückführung aller von der Kriminal- zur Schutzpolizei verlagerter Stellen.
(Die Rede des Innenministers beim Landesdelegiertentag am 15.09.2009 steht Rede des Innenministers Dr. Ingo Wolf als Videoaufzeichnung zur Verfügung)
Für Rückfragen:
Wilfried Albishausen - Landesvorsitzender - 0173/5437253
Rolf Jaeger - Stellv. Landesvorsitzender - 0175/5211717 o. 02261/56470
Rüdiger Thust - Stellv. Landesvorsitzender - 0172/8837250