Hunderte unbearbeitete Fälle im LKA Brandenburg
21.01.2019
Kramer liebt seinen Beruf, aber schon seit langer Zeit kommt
er äußerst ungern zur Arbeit.
In seiner Abteilung ist er der einzige Kollege, der noch gerichtsfeste
Gutachten schreiben darf. Einer seiner Kollegen ist vor einigen Monaten in
Pension gegangen und ein weiterer hat gekündigt, weil er im Landeskriminalamt
eines benachbarten Bundeslandes für die gleiche Arbeit besser bezahlt wird. Die
Fehlstellen sind auch nach Monaten noch immer nicht besetzt, Kramer steht nun
also allein da.
In seinem Labor greift er sich einen Vorgang vom Stapel der nichtpriorisierten
Untersuchungsaufträge. Der Antrag ist im Mai 2017 als Verfahren mit
potentiellem Verbrechenstatbestand von Kriminaloberkommissar Meyer aus dem KKI Sonnenschein an das LKA übersandt worden und war auf einem riesigen Stapel
unbearbeiteter Vorgänge gelandet. Heute nun, nach 19 Monaten, beginnt Kramer
mit der Untersuchung der übersandten Betäubungsmittel.
Gerne würde er den Kollegen schneller Ergebnisse liefern, aber er schafft es
allein einfach nicht.
Er weiß, dass mit seinen Gutachten nicht selten ein Gerichtsverfahren steht
oder fällt. Er weiß, dass die Staatsanwaltschaften auf seine Gutachten
angewiesen sind, um Anklage erheben zu können. Und er weiß auch, dass durch
fehlende Gutachten Verfahren verschleppt werden und dadurch die Täter am Ende
geringere Strafen erhalten. Kramer weiß das alles, aber er kann nicht mehr als
arbeiten. Was soll er tun?
Dass in seinem Labor aktuell etwa 700 unbearbeitete Untersuchungsaufträge von
potentiellen Verbrechenstatbeständen liegen, deren Untersuchung mindestens zwei
Jahre dauern wird, darüber möchte Kramer am liebsten gar nicht sprechen.
In der Mittagspause trifft er sich mit seinen Kollegen Wehrmann aus der
Mobilfunkforensik und Hempel aus dem Bereich Waffenbegutachtung. Mit ihnen
teilt er oft seine Sorgen, die beiden Kollegen verstehen ihn, sieht es doch in
ihren Bereichen nicht anders aus.
Die Datensicherung von Mobilfunktelefonen dauert aktuell im Durchschnitt mindestens
ein Jahr. Dabei kommt es dort so oft darauf an, aus den Telefoninhalten
wichtige Hinweise auf eine Tat zu erlangen, die für weitere
kriminalpolizeiliche Ermittlungen von immenser Bedeutung sein können.
An diesem
Tag berichtet Kollege Wehrmann einmal mehr, dass er von einem Sachbearbeiter
aus der KKI erfahren hat, dass das Gerichtsverfahren gegen einen Beschuldigten
bereits abgeschlossen ist, es bereits eine Verurteilung gab, obwohl das
seinerzeit, im Oktober 2017, als Beweismittel sichergestellte Mobilfunktelefon
noch gar nicht ausgelesen wurde. Dass hier möglicherweise wichtige Beweise
schlichtweg nicht ins Gerichtsverfahren eingeflossen sind, macht Wehrmann
betroffen, aber auch er kann nicht mehr als arbeiten. Ebenso wie bei Kramer
fehlen in seiner Abteilung Kollegen, zumal insbesondere der Bereich der
Mobilfunkforensik im Strafverfahren eine immer wichtigere Rolle einnimmt.
Kollege Hempel, der mit der Begutachtung von Waffen befasst ist, würde die
trübe Stimmung beim Mittagessen gerne auflockern, aber auch er kann nichts
Positives berichten - im Gegenteil. Heute Morgen hatte er einen unangenehmen
Anruf von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) erhalten.
Ein Staatsanwalt hatte nachgefragt, wann mit dem
Waffenbefund, für eine im Juli 2018 übersandte Waffe gerechnet werden kann. Er sei
in Zugzwang, weil der Beschuldigte in diesem Verfahren in Untersuchungshaft
säße und er innerhalb von sechs Monaten Anklage erheben muss, da anderenfalls
die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen
werden wird. Viel Zeit bliebe nicht mehr, sind doch die sechs Monate im Januar 2019
abgelaufen.
Hempel musste daraufhin mitteilen, dass der Vorgang noch gar nicht bearbeitet
wurde und dass prioritäre Waffenbegutachtungen aktuell ohnehin nur noch nach
einer schriftlichen Mahnung durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt werden.
Der Staatsanwalt hatte wütend aufgelegt – eine fristgerechte Anklage kann er
nun wohl vergessen.
Trotz sinkender Fallzahlen in der PKS steigt die Beteiligung des Landeskriminalamtes an den Ermittlungsverfahren im Land stetig an. Man hat verkannt, dass insbesondere Kollegen die am LKA neu eingestellt werden erst angelernt und ausgebildet werden müssen. So dauert die Ausbildung eines neuen Kollegen noch einmal drei bis vier Jahre, ehe er als Gutachter tätig werden kann.
Dabei gibt es im Land Brandenburg Möglichkeiten, dieses Problem aufzufangen.
Das Finanzministerium stellt jedes Jahr Mittel zur Verfügung, um fünf Jahre vor der Pensionierung eines Kollegen Nachwuchsstellen zu besetzen. Diese Kollegen könnten parallel neben zukünftigen Pensionären arbeiten, sich deren über Jahre erworbenes Fachwissen aneignen und würden zudem als zusätzliche Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Warum man diese Möglichkeit der Nachwuchsgewinnung in unserem Land nicht nutzt, ist ein Rätsel.