Herausforderung Digitalisierung

29.06.2022

„Digitalisierung“: ein Schlagwort für den vielfältigen Einfluss des technologischen Wandels in unserem Alltag – auch bei der Kriminalitätsbekämpfung. Wo knirscht es da am stärksten bei der Polizei Niedersachsen?
Herausforderung Digitalisierung


Seit Jahren ist in der Kriminalsachbearbeitung ein Anstieg von Straftaten, die im Zusammenhang mit IT-Geräten begangen wurden, zu verzeichnen. Die Digitalisierung wirkt sich hierbei nicht nur auf die Art und Weise der Begehung von Straftaten aus, sondern auch darauf, wie Straftäter allgemein agieren. Die zunehmende Bedeutung digitaler Spuren betrifft damit nicht nur klassische Cybercrime-Phänomene wie Phishing, DDoS-Attacken und Ransomware, sondern eben auch z.B. den Austausch von Kinder- und Jugendpornografie, die Übermittlung von Hassbotschaften, Betrug, Hehlerei, Betäubungsmittelkriminalität und Geldwäsche.

Bedenkt man, dass Einbrecher während der Tatbegehung häufig Handys bei sich tragen, wird klarer in wie vielen Ermittlungsvorgängen die Erhebung, Auswertung und Beurteilung digitaler Spuren wie z.B. IP-Adressen, Bestands- und Verbindungsdaten, Logdaten, Funkzellen, Zahlungsströme im digitalen Zahlungsverkehr oder Bitcoin-Analysen relevant sind. Fast alle Ermittlungsbereiche sind hier betroffen.

Unzureichend gerüstet

Für die Herausforderungen der Digitalisierung ist die Polizei Niedersachsen in personeller und in technischer Hinsicht unzureichend gerüstet. So sieht der BDK Niedersachsen Handlungsbedarfe vor allem hinsichtlich der Aus- und Fortbildung, der Werbung junger Kolleginnen und Kollegen für Spezialisierungen, der Konkurrenzfähigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte und der Vernetzung zwischen den Ermittelnden. IT-Fachkräfte könnten als Direkteinsteiger nach dem Studium direkt in höhere Gehaltsstufen einzustellen sein.

Ein weiterer Aspekt ist fehlende Software zur effizienten Aufgabenerledigung. Die Ermittlungsdauer in vielen Verfahren könnte erheblich reduziert werden, beispielsweise mittels entsprechender Software zur Nachverfolgung von Krypto-Transaktionen.

Die Beschaffung ermittlungsunterstützender Software bleibt oft den einzelnen Behörden überlassen. Deren Budget ist nicht selten mit der Anschaffung beispielsweise einer Krypto-Analyse-Software für EUR 30.000,-- überlastet. Bündelung auf Landesebene könnte Abhilfe schaffen und zudem eine bessere Auslastung der Software gewährleisten.

IT-Basisqualifikationen fehlen

Die Aus- und Fortbildung der Beschäftigten außerhalb der Spezialdienststellen weist Lücken auf, diese sind häufig nicht oder nur unzureichend im Umgang mit digitalen Spuren beschult.
Spezialisierte Beschäftigte müssen in Niedersachsen ungeachtet ihres Fachwissens bei der Bearbeitung der Massenkriminalität aushelfen, um der Überlastung dort Herr zu werden! Anstatt sich intensiv auf die Ermittlungen betreffend Cybercrime im engeren Sinne zu fokussieren, werden Fachkräfte mit Massendelikten „fremdbeschäftigt“. Es ist zwingend, alle Ermittelnden umfassend im Umgang mit digitalen Spuren zu beschulen.

Spezialkräfte binden durch Fachkarrieren

Spezialisierung ist ein langwieriger Prozess, der eine Vielzahl an Fortbildungen sowie jahrelange praktische Erfahrung erfordert. Die Polizeiakademie bietet ca. 50 Module zur Spezialisierung im Bereich Cybercrime an. Nachwuchskräfte schreckt hier aber die derzeit damit einhergehende Belastung und die fehlende Fokussierung auf das eigentliche Aufgabengebiet ab.

Gleichzeitig wirkt sich eine frühzeitige Spezialisierung eher als Karrierehindernis aus. Verwendungsbreite wird häufig als Kriterium für höherwertige Dienstposten herangezogen. Eine frühzeitige Spezialisierung hat aber zur Folge, dass die Möglichkeiten zum Wechsel des Aufgabengebiets deutlich reduziert werden. Aus Sicht des BDK Niedersachsen muss hier eine Förderung von Fachkarrieren erfolgen.

Einbindung externer IT-Fachkräfte

Den Möglichkeiten polizeiinterner Aus- und Fortbildung sind Grenzen gesetzt. Insbesondere bei der strukturierten Auswertung von Massendaten bedarf es einer weitergehenden Expertise, die durch Polizeibeschäftigte im Regelfall nicht abgebildet werden kann. Daher bedarf es der Einbindung extern ausgebildeter IT-Fachkräfte, wie bereits seit Jahren praktiziert.

Akquirierung und vor allem längerfristige Bindung der IT-Fachkräfte gestaltet sich allerdings problematisch. Vielfach verlassen die IT-Fachkräfte bereits nach kurzer Zeit die Polizei – höhere Gehälter und bessere Aufstiegsmöglichkeiten sind entscheidend. Die Polizei muss daher als Arbeitgeber konkurrenzfähig werden.

Digitalisierung erschwert Erkennung von Zusammenhängen

Neben den personellen Handlungsfeldern bedarf es zudem einer effizienteren Gestaltung der Ermittlungen, insbesondere hinsichtlich organisierter Tätergruppierungen.

Diese agieren hierbei vielfach im höchsten Maße konspirativ, auf unterschiedlichen Deliktsfeldern und grenzüberschreitend gleichzeitig. Geldwäsche und Handel mit illegalen Waren und Dienstleistungen stellen das Rückgrat dieser Strukturen dar. Dabei nutzen sie die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent aus. Ermittlungen vor diesem Hintergrund bieten vielfach nur wenige Ermittlungsansätze.

Mitunter lassen sich in den einzelnen Verfahren überhaupt nur einzelne Spuren finden, die sich den eigentlichen Tätern zuordnen lassen. Erst durch Zusammenführen der puzzleartigen Spuren insbesondere digitaler Art aus unterschiedlichen Verfahren lassen sich Tat-Tat- bzw. Tat-Täter-Zusammenhänge erkennen.

Föderale Hemmnisse bei der Vorgangsbearbeitung

Derzeit fehlt es an einem strukturierten Austausch zwischen den Polizeibehörden, nicht nur auf internationaler Ebene, sondern bereits innerhalb Deutschlands. So fehlt derzeit eine zentrale Datenbank, in der relevante Informationen gespeichert und für eine effiziente Auswertung bereitgestellt werden können. Die bestehenden Informationssysteme erfordern aufwändige Anpassungen, die Datenbankvielfalt erschwert automatisierte Analysen. Aus Sicht des BDK Niedersachsen bedarf es daher neben einer stärkeren Vernetzung auf internationaler Ebene vor allem eines bundeseinheitlichen Vorgangsbearbeitungssystems mit gemeinsamem Datawarehouse.

Die Politik ist gefragt

In der Politik wird gerne die Bewältigung der Digitalisierung als herausragende Aufgabe genannt. Es ist eine - auch für die mit Kriminalitätsbekämpfung befassten Polizeibeschäftigten.

Für die anstehende Landtagswahl in Niedersachsen erwarten wir von den Parteien erfolgversprechende Konzepte. Die Wählerinnen und Wähler haben Anspruch darauf zu wissen, wie Kriminalitätsbekämpfung und damit ihre Sicherheit nach der Wahl gewährleistet werden soll.


Der Geschäftsführende Landesvorstand

 

 

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