Zickzackkurs in der Flüchtlingskrise – Placebo mit schmerzhaften Nebenwirkungen
14.09.2015
Bundesinnenminister de Maizière verkündete sehr überraschend per Pressekonferenz die „vorübergehende“ Wiedereinführung von Grenzkontrollen - mit Schwerpunkt an der österreichischen Grenze. Nach ersten Veröffentlichungen sollen „alle verfügbaren Bundespolizisten“ nach Bayern verlegt werden.
Es stellt sich nicht nur die Frage wie lange „vorübergehend“ sein soll, sondern auch nach der „personellen Umsetzung“ dieser ambitionierten Absicht. Bekanntermaßen befand sich die Bundespolizei schon vor dieser Ankündigung jenseits der Belastungsgrenze.
Nachdem selbst meterhohe Zäune, der Einsatz von Militär, sowie lebensgefährliche Fluchtrouten und -methoden die Menschen aus Krisenregionen nicht abschrecken, hofft man offenbar Zeit für eine Atempause gewinnen zu können. Aber wer soll dadurch Luft holen können, wenn Grenzkontrollen nur eine Verlagerung von Belastung bedeuten? In Ungarn bewachen seit dem Wochenende 4.500 Soldaten, zusätzlich zu den Grenzpolizisten, den mit Stacheldraht und einem 4-Meter hohen Zaun gesicherten Grenzabschnitt zu Serbien auf einer Länge von 175 km. Und selbst sie werden „überrannt“. Die deutsche Grenze zu Österreich ist 815 km lang, eine materielle Grenzsicherung existiert nicht. Wie soll hier ein wirksamer Schutz mit der letzten Reserve der Bundespolizei möglich sein, ohne viele andere wichtige Aufgaben zu vernachlässigen oder andere Grenzabschnitte komplett zu entblößen? An dieser Frage würde wohl auch Adam Riese verzweifeln. Bauen wir eine menschliche Barriere aus Beamten und Soldaten? Oder bauen wir einen Zaun an einer Schengenbinnengrenze?
Wie sollen sich Polizisten verhalten, wenn Menschenmengen ohne legalen Aufenthaltsstatus unerlaubt ins Bundesgebiet einreisen wollen? Wie bisher an der Außengrenze? Mit Gewalt? Nachdem Flüchtlinge vorher noch willkommen geheißen wurden? Welche Signalwirkung werden fremdenfeindliche bzw. autonome Kreise dieser Maßnahme entnehmen und öffentlich „verwenden“? Im Grunde handelt es sich bei der Entscheidung zur Wiedereinführung der Grenzkontrollen nur um eine Botschaft an die Migranten in Asien und Afrika, dass Deutschland jetzt genug hat. Die Maßnahme selbst ist unwirksam. Sie wird jedoch ausgetragen auf dem Rücken der Bundespolizei. Und was macht die Politik, wenn diese Grenzkontrollen ebenso überrannt werden, wie die in Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich? Die Maßnahme als Versagen der Bundespolizei deklarieren? Hoffentlich nicht!
Warum werden nicht stattdessen die Beschlüsse des Koalitionsausschusses vom 6. September 2015 umgehend umgesetzt? Schon die Verlängerung der Dauer des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen von 3 auf 6 Monate einhergehend mit der Suspendierung der Geld- zugunsten von Sachleistungen würden den meisten Wirtschaftsflüchtlingen den Anreiz entziehen.
Wer Flüchtlingswellen mit Grenzkontrollen eindämmen möchte, hält vermutlich auch gestapelte Sandsäcke für den professionellsten Hochwasserschutz. Abgesehen vom Erfordernis einer ehrlichen politischen und medialen Diskussion jenseits begeisterter Willkommenskultur und grimmigem Fremdenhass wäre es z.B. erforderlich, die aufnehmenden Nachbarstaaten von Krisenländern erheblich zu unterstützen. Zahlen müssen die Europäer so oder so: entweder in den Herkunftsregionen oder bei uns!
Auch die seit den 80er Jahren anhaltende sparwütige Zerschlagung des Öffentlichen Dienstes rächt sich nicht erst an diesem Beispiel. Polizei, Justiz, Militär, Jugend-, Sozial-, Ausländerämter, Katastrophen-/Bevölkerungsschutz wurden mit sinnfreien Managementmethoden aus der Wirtschaft überzogen, bürgernahe Aufgaben bis jenseits der Schmerzgrenze zu Lasten innerbehördlicher Administration verlagert oder gestrichen. Dazu wurde Personal in großem Stile abgebaut, dadurch erweiterten sich Aufgaben- oder Zuständigkeitsbereiche, während die Regelwerke und Verfahrensanweisungen mittlerweile von niemandem ohne Jurastudium noch verstanden werden.
Vollmundig angekündigte „Einstellungsoffensiven“ der Behörden wirken sich erst nach mühseliger Rekrutierung auf einem längst abgefischten Markt, nach jahrelanger Ausbildung und langwieriger Erfahrungssammlung aus, sind also nicht geeignet der jetzigen Krise, die im Übrigen seit mindestens vier Jahren abzusehen war, zu begegnen. Hier sind andere Lösungen erforderlich, die aus Sicht des BDK auf der Hand liegen. Bund, Länder und Gemeinden haben in den letzten 5 Jahren zahlreiche hochqualifizierte Beamte/ Angestellte in den Ruhestand entlassen, die entsprechende Anreize und körperliche Leistungsfähigkeit vorausgesetzt, auf freiwilliger Basis sofort zur qualifizierten Bewältigung der Krise herangezogen werden könnten und die mindestens noch fünf Jahre andauernde „Personallücke“ füllen könnten.
Die Vorverlagerung der EU-Einreiseprüfung, sei es aus Asyl-, Einwanderungs- oder sonstigen humanitären Gründen, auf den afrikanischen Kontinent oder in den Nahen Osten ist schon aus humanitären Gründen unabdingbar. EU-Einreiseberechtigte würden ordnungsgemäß registriert, gelangten sicher nach Europa und würden nach Schlüssel direkt auf die Mitgliedstaaten verteilt. Damit würde auch der „Schleusungsindustrie“ ein empfindlicher Schlag versetzt und den Sicherheitsbestrebungen der EU entsprochen. Darüber hinaus ist der Schutz der EU-Außengrenzen voranzutreiben und zu harmonisieren.
Das einzig Positive an der „Wiedereinführung von Grenzkontrollen“ ist, dass dieses politische Warnsignal nicht nur in den Flüchtlingslagern, sondern auch in der lahmenden EU angekommen sein dürfte. Auch trägt dieser politische Streich, einmal mehr bajuwarische Züge. Manche mögen glauben, dass der Freistaat sich plötzlich daran erinnert hat, dass wir nicht in einem Staatenbund, sondern einem föderalen Bundestaat mit einem starken Element Bundesverantwortung leben.
Aus Sicht des BDK-Verband Bundespolizei ist die Bewältigung dieser einerseits humanitären, andererseits sicherheitspolitischen Krise existenziell für die Zukunft Deutschlands und Europas. Dieser kann nur mit einschneidenden, teilweise auch drastischen Maßnahmen begegnet werden. Diese werden neben ungewöhnlichen und mutigen Ansätzen auch große Summen Geld erfordern, die das ambitionierte „Schwarze Null-Projekt“ der Bundesregierung auf Jahre hinaus unmöglich machen werden. Das erscheint auch dringend geboten, weil einer späteren Generation ein ausgeglichener Haushalt ohne Schulden in einem zerrütteten Krisenland Deutschland in einem wieder in Nationalstaaten zerfallenen Europa ohne Perspektive, nur wenig Freude machen würde.