Gewalt gegen Frauen

05.03.2014

Die heute von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) vorgestellte Studie zeigt ein erschreckendes Ausmaß. So hat z.B. jede 3. Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Dies entspricht etwa 62 Millionen Frauen.
Gewalt gegen Frauen
Petra Wiesel, Frauenpolitische Sprecherin des BDK Baden-Württemberg

In einer ersten Reaktion zu den heute veröffentlichten Erhebungen der FRA zeigte sich die Frauenpolitische Sprecherin des BDK Baden-Württemberg, Petra Wiesel, bestürzt. "Dies ist ein erschreckendes Ergebnis, das große Anstrengungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fordert."

Als wichtigen und überfälligen Schritt bezeichnet Wiesel dabei auch die noch ausstehende Ratifizierung der sogenannten Istanbul-Konvention aus 2011. Dieses Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt befasst sich umfassend mit verschiedenen Formen der Gewalt gegen Frauen wie psychischer Gewalt, Stalking, körperlicher Gewalt, sexueller Gewalt und sexueller Belästigung. Petra Wiesel: "Dieses Übereinkommen darf kein Papiertiger bleiben, sondern muss mit Leben erfüllt werden."

 


 

Pressemitteilung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) vom 05.03.2014

Gewalt gegen Frauen: sie passiert täglich und in allen Kontexten

Frauen erfahren zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und im Internet Gewalt. Das Außmaß dieser Gewalt zeigt ein neuer Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), der die Ergebnisse der weltweit größten Erhebung über Gewalt gegen Frauen vorstellt.

Der Bericht belegt nicht nur die weit verbreitete Gewalt gegen erwachsene Frauen, sondern schildert auch die körperliche und sexuelle Gewalt, die Frauen in der Kindheit erfahren haben. Die FRA-Erhebung macht deutlich, dass es an der Zeit ist, dass politische Entscheidungsträger und -trägerinnen, Maßnahmen gegen diese weit verbreitete Gewalt ergreifen. Hierbei müssen die Bedürfnisse und Rechte der Gewaltopfer nicht nur auf dem Papier berücksichtigt, sondern auch in der Praxis umgesetzt werden.

„Die Ergebnisse dieser Erhebung können und dürfen nicht ignoriert werden“, betonte der FRA-Direktor, Morten Kjaerum: „Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die in allen EU-Mitgliedstaaten anzutreffen ist.“ Kjaerum erklärte weiter: „Das enorme Ausmaß des Problems verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur einige wenige Frauen betrifft, sondern sich tagtäglich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Politiker und Politikerinnen, Interessensvertreter und Interessensvertreterinnen der Zivilgesellschaft sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Hilfseinrichtungen müssen deshalb gemeinsam ihre bisherigen Maßnahmen einer kritischen Prüfung unterziehen, um das Problem der Gewalt gegen Frauen in jedem Bereich der Gesellschaft anzugehen. Die Zeit ist reif, eine breit angelegte Strategie zur wirksamen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg zu bringen.“

Die Erhebung befragte Frauen zu ihren Erfahrungen mit körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt. Thema der Befragung waren auch Stalking, sexuelle Belästigung und die Rolle, die neue Technologien bei Missbrauchserfahrungen spielen. Die Erhebung enthielt auch Fragen zu Gewalterfahrungen der Frauen in ihrer Kindheit.

Die Antworten zur Erhebung führen insbesondere zu folgenden Ergebnissen:

  • 33 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Dies entspricht etwa 62 Millionen Frauen.

  • 22 % der Frauen haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erlebt.

  • Eine von 20 Frauen (5 %) ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Fast jede zehnte Frau, die sexuelle Gewalt außerhalb der Partnerschaft erfahren hat, gab an, dass mehrere TäterInnen an dem schwerwiegendsten Vorfall beteiligt waren.

  • 43 % der Frauen waren entweder durch den/die aktuelle/n oder eine/n frühere/n PartnerIn psychischer Gewalt ausgesetzt. Der Missbrauch bestand unter anderem darin, dass Frauen öffentlich bloßgestellt wurden oder das Haus nicht verlassen durften oder eingesperrt wurden, dass sie gegen ihren Willen pornografische Filme ansehen mussten und ihnen Gewalt angedroht wurde.

  • 33 % der Frauen haben in der Kindheit körperliche oder sexuelle Gewalt durch eine/n Erwachsenen. 12 % der Frauen waren in der Kindheit von sexueller Gewalt betroffen, die in der Hälfte der Fälle von fremden Männern ausgeübt wurde. Bei diesen Formen des Missbrauchs handelt es sich typischerweise um Fälle, in denen Erwachsene ihre Genitalien zeigen oder die Genitalien oder Brüste des Kindes berühren.

  • 18 % der Frauen haben seit dem 15. Lebensjahr Stalking erlebt; bei 5 % der Frauen war dies innerhalb der letzten 12 Monate vor der Befragung der Fall. Dies bedeutet, dass etwa 9 Millionen Frauen in der EU von Stalking betroffen sind. 21 % der Stalking-Opfer gaben an, dass die Belästigung länger als zwei Jahre andauerte.

  • 11 % der Frauen haben bereits unangemessene Annäherungsversuche in den neuen sozialen Medien erlebt oder erhielten E-Mails oder SMS-Nachrichten mit eindeutig sexuellem Inhalt. Unter den jungen Frauen (18–29 Jahre) waren es 20 % die bereits Opfer von solchen Formen der Online-Belästigung wurden.

  • 55 % der Frauen haben irgendeine Form der sexuellen Belästigung erlebt. 32 % der Opfer sexueller Belästigung nannten als TäterInnen Vorgesetzte, Kollegen und Kolleginnen oder Kunden und Kundinnen.

  • 67 % meldeten die schwerwiegendsten Gewaltvorfälle innerhalb einer Partnerschaft nicht der Polizei oder einer anderen Organisation.

Die in dem Bericht dargestellten Erhebungsergebnisse lassen keinen Zweifel daran, dass ein breites Spektrum unterschiedlicher Gruppen, wie etwa Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, medizinisches Fachpersonal und Internet-Provider, Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen treffen muss. Um die Situation zu verbessern, hat die FRA eine Reihe von Stellungnahmen ausgearbeiter. Diese sollen politische Entscheidungsträger und -trägerinnen der EU und ihrer Mitgliedstaaten dabei unterstützen, umfassende Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einzuführen und umzusetzen.

  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, ratifizieren.

  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten Gewalt in der Partnerschaft als gesellschaftliches und nicht als privates Problem anerkennen. Vergewaltigung in der Ehe sollte in der Gesetzgebung aller EU-Mitgliedstaaten der Vergewaltigung in allen anderen Fällen gleichgestellt, und häusliche Gewalt sollte mit Nachdruck geahndet werden.

  • Die EU-Mitgliedstaaten sollten den Anwendungsbereich ihrer rechtlichen und politischen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung überprüfen. Diese müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass sexuelle Belästigung überall auftritt und über unterschiedliche Medien, etwa das Internet oder Mobiltelefone, erfolgen kann.

  • Polizisten, medizinisches Fachpersonal, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Opferhilfe-Einrichtungen müssen geschult und mit den notwendigen Mitteln und Befugnissen ausgestattet werden, damit sie die Gewaltopfer unterstützen können.

  • Schulungen bei der Polizei und anderen relevanten Einrichtungen sollen sicherstellen, dass die Personen, die mit Gewaltopfern in Berührung kommen, die Auswirkungen psychischen Missbrauchs erkennen und verstehen. Jegliche Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen in verschiedenen Umfeldern sollte aufgedeckt, gemeldet und geahndet werden können.

  • Die Polizei sollte dazu angehalten werden, routinemäßig Fälle aufzugreifen und zu untersuchen, bei denen Online-Stalking und Online-Belästigung eine Rolle spielen.

  • Internet-Provider und Plattformen für soziale Medien sollten Opfer von Online-Belästigung aktiv bei der Meldung von Missbrauchsfällen unterstützen. Sie sollten dazu aufgefordert werden, solch unerwünschtes Verhalten einzudämmen.

  • Spezielle Opferhilfe- oder Opferschutzeinrichtungen sollten Betreuungsangebote für Gewaltopfer bereitstellen, die die Opfern bei der Bewältigung der psychischen Folgen einer Gewalterfahrung, wie zum Beispiel andauernde Schuld- und Schamgefühle, unterstützen.

  • Sensibilisierungskampagnen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen müssen sich sowohl an Männer als auch an Frauen richten. Männer sollten konstruktiv in Initiativen gegen die von einigen Männern verübte Gewalt gegen Frauen eingebunden werden.

  • Es ist zenral die Datenerhebung zu Gewalt gegen Frauen in den EU-Mitgliedstaaten zu verbessern und zwischen den Mitgliedstaaten zu harmonisieren.

 

Hintergrund

  • Für die Erhebung wurden über 42 000 Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten befragt. Die Nettostichprobengröße umfasste 1 500 Befragte je Land (außer in Luxemburg, wo eine Nettostichprobengröße von 900 Befragten zugrunde gelegt wurde). Die Befragten waren zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 18 und 74 Jahre alt.

  • Alle Befragten wurden zufällig ausgewählt und die Ergebnisse der Erhebung sind sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene repräsentativ.

  • Die Fragen bezogen sich auf Erfahrungen und Vorfälle seit dem 15. Lebensjahr und in den 12 Monaten vor der Befragung.

  • Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention) zielt auf einen besseren Schutz von Frauen ab, die Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt geworden sind. Bislang haben lediglich Österreich, Italien und Portugal das Übereinkommen ratifiziert, das von 17 EU Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.

  • Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) bietet EntscheidungsträgerInnen auf EU  und nationaler Ebene faktengestützte Grundrechtsberatung an und trägt so dazu bei, dass im Bereich der Grundrechte eine fundiertere Debatte geführt und gezieltere politische Maßnahmen getroffen werden können.

 


 

Siehe auch