Gefährdersachbearbeitung
17.01.2017
Am 20.01.2017 wird in Rheinland-Pfalz dazu ein Sicherheitsgipfel unter der Leitung unserer Ministerpräsidentin Malu Dreyer stattfinden. Der BDK Rheinland-Pfalz hat mit seinem Positionspapier zur Situation der rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei im April 2016 folgende Aussagen getroffen:
„Im Umgang mit den Gefahren des islamistischen Terrorismus ist Ehrlichkeit mehr als dringend geboten. Wenn politische und polizeiliche Verantwortungsträger darstellen, dass die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz „gut aufgestellt“ sei und die Gefahren im Griff hätte, ist das nicht unproblematisch. Vor dem Hintergrund kollabierender Staaten und massenhaft fliehender Menschen kann niemand eine sichere Lageeinschätzung abgeben. Auch sind wir nicht in der Lage, eine umfassende Sicherheit zu gewährleisten. Dies geht weder mit dem in diesem Bereich eingesetzten Personal, noch mit den zur Verfügung stehenden Ermittlungsinstrumentarien. Gerade die Internationalität dieses Phänomens und die schier unbegrenzte Mobilität der Täter setzt der Polizei Rheinland-Pfalz unglaublich schnell Grenzen. Natürlich geht es um Freiheit versus Sicherheit. Wir als BDK können durchaus damit leben, dass hier ein vernünftiger Ausgleich geschaffen wird. Bei Anschlägen stellt der BDK wiederholt fest, dass die Politik mit dem Hinweis auf das Versagen „der Sicherheitsarchitektur“ sehr schnell bei Polizei und Verfassungsschutz die Schuldigen sucht. Dass die Politik aber als Bauherr sich bewusst zu dieser Architektur entschieden hat, wird dann verschwiegen.“
Die aktuell geführten Diskussionen im Januar 2017 belegen diese Aussagen mehr als deutlich. Zunehmend mehr wird von politischer Seite ein „kollektives Behördenversagen“ postuliert. An dieser Diskussion möchten wir uns nicht beteiligen, weil wir aufgrund unzureichender Kenntnis aller Umstände zu einer abschließenden Bewertung nicht in der Lage sind.
Allerdings fordert der BDK Rheinland-Pfalz weiterhin die Offenheit, mit der dieses Thema behandelt werden muss.
So genügt es sicher nicht, die Maßnahmenkonzepte an den Personen auszurichten, die bereits als „Gefährder“ bekannt sind. Dieser Einstufung liegt ein Prozess von Informationsgewinnung, -verarbeitung und schließlich Bewertungen unterschiedlicher Stellen zugrunde. Innerhalb dieses Prozesses haben die Sicherheitsbehörden in Rheinland-Pfalz eine Vielzahl von Hinweisen zu Personen abzuarbeiten, deren Validität nur schwer und häufig nicht abschließend zu verifizieren ist. Oftmals liegen noch keine konkreten Tatsachen vor, die die von der Person ausgehende Gefahr hinreichend belegen.
Regelmäßig sind es Beobachtungen, Hinweise zu persönlichen Einstellungen und scheinbar festgestellte auffällige Verhaltensweisen. Es gehen eher „weiche“, mitunter auch falsche Hinweise zu ihrer Vergangenheit im Ausland ein, insbesondere zu einer Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen oder Mitgliedschaft in ausländischen Terrorgruppen. Eine beweiskräftige Zuordnung im strafrechtlichen Sinne ist in solchen Fällen oftmals nicht möglich oder, je nach Herkunft, nicht gerichtsverwertbar. Natürlich ist es die Aufgabe des Staates derartige Verdachtsmomente zu verifizieren und daraus letztlich eine Gefahrenprognose zu erstellen. Sie hat sich vor allem darauf zu erstrecken, ob von diesen Personen tatsächlich eine Gefahr ausgeht und wie dieser wirkungsvoll begegnet werden kann. Diese Gefahrenprognose birgt stets Unwägbarkeiten und ist lediglich auf der Faktenlage begründbar, die zu diesem Zeitpunkt vorliegt. So sind z. B. über die derzeit stark diskutierte Fußfessel nur wenige Erkenntnisse zu gewinnen, die die Sicherheitsbehörden in ihrer Bewertungsgrundlage voranbringt. Sie ist auch nur bedingt geeignet, die von dem jeweiligen Gefährder ausgehenden Gefahren wirkungsvoll zu reduzieren.
Die Terrorakte der Vergangenheit sowohl im In- als auch im Ausland hätten allesamt kaum durch das Instrument elektronische Fußfessel verhindert werden können. Einige dieser Verbrechen zeigen auch, dass Anschlagsziele nicht immer (Groß)-Veranstaltungen sein müssen wie die Messerattacken in Zügen, gegen einen französischen Geistlichen oder der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Welche Verbotszonen sollen definiert werden, um die Gefahren tatsächlich zu minimieren?
Eine einfache Lösung gibt es nicht. Alle derzeit diskutierten Lösungsansätze bieten selbst in der Kumulation keine Gewähr dafür, dass ein derartiger oder im modus operandi anders gearteter terroristischer Anschlag in Deutschland nicht mehr geschehen wird. Natürlich müssen die Sicherheitsbehörden alles tun, um solche Taten zu verhindern. Allerdings sind wirkungsvolle Lösungen hochkomplex und beziehen Präventionsmaßnahmen sowie den ehrlichen Dialog mit ein.
Letztlich muss die Polizei in einer sehr engen Verzahnung mit den Verfassungsschutzämtern in die Lage versetzt werden, Einschätzungen und Gefahrenprognosen zu diesen Personen vornehmen zu können. Das bedarf einer möglichst dichten Informationsgrundlage, die sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichsten offenen und verdeckten kriminaltaktischen Maßnahmen auf der Grundlage des Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz und der StPO zusammenfügen muss. Neben den Standardmaßnahmen wie Erfassung und Gewährleistung eines bundesweiten Informationsaustauschs sind dabei wesentliche Maßnahmen:
- Verdeckte Informationsgewinnung sowohl über technisch unterstützte als auch personelle Observationsmaßnahmen (bis hin zur 24/7-Überwachung)
- Polizeiliche Beobachtung
- Verdeckte Informationsgewinnung durch umfassende TKÜ-Maßnahmen (einschließlich der Möglichkeit der Überwachung von Messenger-Diensten, Internettelefonie)
- Der Einsatz von Vertrauenspersonen und die Gewinnung von Informanten sind absolut unerlässlich! Aber auch der Einsatz Verdeckter Ermittler ist beispielsweise zur Aufklärung in Foren von Extremisten erforderlich.
- Offene Maßnahmen (Vernehmungen/Befragungen des Umfeldes der betroffenen Personen) unter Einbeziehung von Islamwissenschaftlern und professionellen und überprüften Sprachmittlern sowie Datenaustausch mit Ausländerämtern und anderen relevanten Landes- und Bundesbehörden wie beispielsweise Zoll.
Dabei müssen auch die „allgemeinkriminellen Aktivitäten“ frühzeitig erkannt und innerhalb der Polizei und Justiz im Sinne der täterorientierten Ermittlungen sehr offensiv einbezogen werden.
Die Intensivierung der Observation ist alleine kaum zielführend, da 24/7-Observation zwar kraft- und personalaufwendig ist, allerdings bei dem hochsensiblen Gegenüber dauerhaft nicht unentdeckt bleiben kann.
Es reicht nicht aus Informationen allgemeiner Art zu einer Person zu erlangen, wie z. B. Fahrzeug-, Wohnsitz- oder Telefondaten. Diese Daten dienen im Einzelfall der Umsetzung kriminaltaktischer Maßnahmen. Kern der polizeilichen Arbeit ist es eine Gefahrenprognose zu erstellen, die nur möglich ist, wenn es gelingt persönliche Daten solcher Personen, wie ihr politische/religiöse Einstellung bis hin zu ihren Internetaktivitäten gewonnen werden können. Ob und inwieweit die Polizei derartige Informationsgewinnungsmaßnahmen durchführen kann, ist Aufgabe des Gesetzgebers und damit der Politik.
In Rheinland-Pfalz muss vor dem Hintergrund des BVerfG-Urteils zum BKAG das POG angepasst werden. Derzeit bleibt nach Einschätzung des BDK Rheinland-Pfalz nur noch wenig Handlungsspielraum, um mit dem aktuellen Instrumentarium des POG RP die Gefahren des islamistischen Terrorismus, aber auch des Rechts- und Linksextremismus wirkungsvoll bekämpfen zu können.
Außerdem sollten die Polizeigesetze der Länder so angepasst und gleichlautend sein, dass aus dem „Werkzeugkasten“ der polizeilichen Möglichkeiten, je nach Situation angepasste Maßnahmen ergriffen werden können. Die Polizeigesetze enden an den Landesgrenzen. Hieran hält sich der polizeilich relevante Personenkreis in der Regel nicht.
In der Frage des Umgangs mit Personen, die als „Gefährder“ bestätigt sind, begrüßt der BDK ausdrücklich, wenn Abschiebemöglichkeiten überprüft und verbessert werden. Dabei bleibt allerdings zu wünschen, dass Forderungen nach Gesetzesverschärfungen frei von populistischen Erwägungen und vorab eingehend auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft worden sind.
Der Landesvorstand