Finanzermittlungen in M-V – Wo stehen wir seit der Reform von 2017?
04.02.2021
Status Quo
Viel zu spät, nämlich ganze zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der StGB/StPO-Änderungen zur Vermögensabschöpfung, hat man sich im September 2019 in M-V auf Polizei- und Justizseite ernsthaft zu den Änderungen und der praktischen Umsetzung ressortübergreifend abgestimmt. Nur zur Erinnerung: Die Reform hat seit 01.07.2017 Gesetzeskraft und viele Bestimmungen wurden von „Kann-“ zu „Muss-Regelungen“ geändert. Doch der polizeiliche Alltag sieht anders aus. Man wird überspitzt gesagt, den Eindruck nicht los, dass Finanzermittlungen und die Vermögensabschöpfung im Speziellen in M-V ein stiefmütterliches Dasein fristen. In aller Regel sind Finanzermittlungen in Ermittlungsverfahren durchzuführen. Ausnahmen, in denen dies nicht geschieht, müssen von der Staatsanwaltschaft begründet werden. Jedoch wird in vielen Fällen erst gar nicht an FE/VA-Maßnahmen gedacht und diese praktisch umgesetzt. Dies hat häufig damit zu tun, dass es an qualifiziertem Personal und dazu an fachlichem Wissen mangelt.
Steigt man etwas tiefer in das Thema ein, machen sich weitere lang bekannte Baustellen auf, die scheinbar kein großes Interesse auf Entscheidungsebene hervorrufen. So kommt es beispielsweise dazu, dass die Auflage der Justiz, Vermögensgegenstände werterhaltend in Asservatenräumen zu lagern, nicht durchgehend eingehalten werden kann. Da steht dann auf einmal die „Ming-Vase“ neben dem Tütchen Marihuana, weil es keine separaten Asservatenräume für sehr wertvolle Gegenstände bzw. hohe Summen an Bargeld gibt. Ganz zu schweigen von Gegenständen, wie z.B. Coronamasken aus Vietnam, die in der Vergangenheit in großen Mengen beschlagnahmt werden mussten.
Warum werden also nicht in jedem Verfahren Anhaltspunkte zur Vermögensabschöpfung geprüft und im Zweifelsfall auch umgesetzt? Die Thematik ist äußerst komplex und mit vielen rechtlichen Fallstricken versehen, denn spezifische Rechtskenntnisse aus dem BGB, der ZPO und StPO sind erforderlich, um am Ende auch rechtssicher zu handeln. Allein dies erfordert gut ausgebildete Mitarbeiter*innen der Vermögensabschöpfung, die für ihr Know-How und dem über dem Durchschnitt erforderlichen Wissen auch adäquat alimentiert und mit Aufstiegsmöglichkeiten versehen werden müssen.
Neben diesem Zustand schwirren im Innenministerium Zielvereinbarungen für Finanzermittlungen zum Zwecke der Vermögensabschöpfung umher, welche nach Expertenmeinung jedenfalls statistisch kaum zu erfassen, geschweige denn messbar sind, da bis dato in der Praxis eine uneinheitliche Erfassung der Vorgänge vorherrscht oder der Part der Vermögensabschöpfung in den Vorgängen gar nicht erfasst wurde. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es für viele Bereiche der Vermögensabschöpfung keine landesweit einheitlichen Regelungen und Standards, so dass jede Dienststelle nach bestem Wissen und Gewissen über diese Verfahren entscheidet. Das ist leider nichts Neues in der Polizei. Fehlende Standards in der Kriminalitätsbekämpfung sind zwar nicht überall, aber in einigen Arbeitsbereichen, leider die Regel. Andere Bundesländer sind da schon einen Schritt weiter. In Bayern wurden die Lagerung und Verwertung von Vermögen an einen externen Dienstleister vergeben, welcher am Gewinn prozentual beteiligt wird. Eine „Win-Win-Situation“ für beide Parteien.
Auch eine Ausbildung von Bargeldspürhunden ist notwendig, derzeit aber in der Landespolizei M-V nicht vorgesehen. Eine Ausbildung solcher Hunde wäre problemlos möglich. Hunde sind auf viele Stoffe trainierbar, so eben auch auf Bargeld. Bitcoins erschnüffeln dauert also vielleicht noch ein bisschen länger. *Zwinkersmiley*. Doch bei diesem Thema fehlt grundsätzlich einigen Kolleg*innen der „digitale Spürsinn“ und das notwendige technische Grundverständnis für die Technologie. Das Gleiche ist größtenteils auf Seiten der Justiz zu beklagen.
Zurück zum Thema FE/VA: Ein weiterer wichtiger Punkt, warum es derzeit in M-V nur wenige Verfahren in diesem Bereich gibt, ist die Möglichkeit der Nutzung des § 421 StPO durch die Staatsanwaltschaften. Diese Regelung wird durchaus von Staatsanwaltschaften genutzt, um den Verfahrensaufwand der Vermögensabschöpfung von vornherein zu umgehen. Die Bestimmung des § 421 StPO bietet drei gute Gründe, um von der Einziehung von Vermögen abzusehen:
- geringer Wert,
- Einziehung fällt neben der Strafe nicht ins Gewicht, oder
- unangemessener Aufwand.
Wenn der Schreibtisch also voller Akten ist, dann...
Verbesserungsvorschläge
Wir als Berufsvertretung der Kriminalpolizei fordern die Politik auf, endlich auf die geänderten Umstände adäquat zu reagieren. Dabei fühlen wir uns in einer ewigen Dauerschleife. Wer neue Aufgaben gesetzlich normiert, hat auch dafür Sorge zu tragen, dass die Aufgabe in ausreichender Qualität umgesetzt werden kann. Im Bereich der Finanzermittlungen sollten daher schnellstens mindestens zwei Finanzermittler*innen pro Kriminalkommissariat nur für diese Aufgabe vorgehalten werden, die einer entsprechende Qualifizierung durchlaufen müssen, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Aktuell gibt es in vielen Kriminalkommissariaten nicht einmal eine wirklich ernsthaft ausgebildete Finanzermittlerin oder einen Finanzermittler. Das hat wieder einmal zur Folge, dass die Aufgaben „mal eben so nebenbei“ von der Sachbearbeitung erledigt werden müssen.
Derzeit ist die KPI in Rostock noch am besten personell ausgestattet. Die vorhandenen Personalstellen der anderen KPIen und des LKA sind zum Teil nicht besetzt bzw. quantitativ unterbesetzt. Arbeit bleibt liegen und kann nicht zeitnah abgearbeitet werden. Schleswig-Holstein hat die Lage erkannt und insgesamt über zehn Finanzermittler als zusätzliche Planstellen hinzubekommen.
Eine weitere Forderung für jede Dienststelle bis auf Ebene der Kriminalkommissariate ist ein zusätzlicher Asservatenraum für Geld und Vermögensgegenstände, der rund um die Uhr, d. h. auch am Wochenende nach einer Durchsuchung zugänglich sein muss, um endlich den Anforderungen der Staatsanwaltschaften und aktuellen Regelungen zu entsprechen. Gleichwohl ist darüber hinaus an die Asservierung digitaler Währungen und Wertgegenstände zu denken und entsprechende „Lagerungsmöglichkeiten“ zu schaffen. Die Asservatenordnung muss folglich zeitnah an die aktuelle Rechtslage angepasst werden.
Die Aus- und Fortbildung in Sachen Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung ist ein großes Thema in der Landespolizei M-V und ist aktuell von der Eigeninitiative der Vermögensabschöpfer*innen abhängig, die gezielt andere Bereiche der Strafverfolgung ansprechen und zum Thema informieren. Dabei sind Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung in fast jedem Deliktsbereich möglich. Leider sind nur wenige Kolleg*innen von sich aus so fit in diesem Thema, als dass sie es sicher in jedem Verfahren anwenden können. Schulungen aller Kolleg*innen sind zeitlich und personell durch die Fachhochschule nicht leistbar. Der Stoff muss in das Studium zu einem prüfungsrelevanten Teil in die entsprechenden Module integriert werden. Die Vermittlung von Lehrinhalten zu Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung findet derzeit lediglich bei Aufstiegslehrgängen statt. Dabei würde ein grobes Verständnis und Wissen über den ersten Angriff schon ausreichen, um zumindest daran zu denken, Finanzermittlungen anzuregen und die entsprechenden Hinweise an den zuständigen Bereich weiterzuleiten.
Die Liste der Probleme könnte noch weiter ausgeführt werden, aber genug der schlechten Nachrichten. Wenn Verbrechen sich wirklich nicht lohnen sollen, dann wird es Zeit mehr Personal im Bereich der Finanzermittlungen/Vermögensabschöpfung mit entsprechenden Planstellen einzustellen, diese dauerhaft zu qualifizieren und entsprechende Ausstattung zur Verfügung zu stellen.
Für den Landesvorstand
Stephan Gäfke (Vorsitzender Bezirksverband Schwerin)
Quellen:
https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Corona-Eine-Million-Schutzmasken-in-MV-beschlagnahmt,coronavirus2252.html