Erkennungsdienstliche Behandlung: Was ist wichtiger, eine gerichtsfeste Anordnung und Vorladung oder die Zielvereinbarung? - Wunsch (Statistik) und Wirklichkeit (Praxis)!

23.04.2013

Vor nicht allzu langer Zeit gab es auf einer Kriminalkommissariatsaußenstelle einen Power-Point-Vortrag. Dargelegt wurden der Ist-Stand der Belastung durch die angezeigten Delikte, als Arbeitsnachweis die Ergebnisse zu den auf- bzw. nicht aufgeklärten Straftaten in Konkurrenz zu vergleichbaren Dienststellen sowie ein dadurch möglicher Vergleich zu den Vorjahresergebnissen der Dienststellen im gleichen Zuständigkeitsbereich. Zum Abschluss gab es dann einen Hinweis zur entsprechenden Zielvereinbarung für die Kriminalpolizei.
Erkennungsdienstliche Behandlung: Was ist wichtiger, eine gerichtsfeste Anordnung und Vorladung oder die Zielvereinbarung? - Wunsch (Statistik) und Wirklichkeit (Praxis)!

Es wurde mitgeteilt, dass in der letzten Zielvereinbarungsperiode etwa 4% der Beschuldigten in den bearbeiteten Ermittlungsverfahren einer ED-Behandlung unterzogen wurden. Durch den Referenten wurde den geneigten Zuhörern offeriert, dass es für die jetzige Zielvereinbarungsperiode 9% sein sollen. So weit, so gut.

Durch das Verwaltungsgericht Schwerin (siehe 1 B 71/07) wurde im Zusammenhang mit ED-Behandlungen und deren Anordnungen sowie der damit verbundenen Vorladung zu diesen inhaltlich festgestellt, dass die ED-Behandlung ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen ist. Dieses dürfte allen Kriminalisten unseres Landes bekannt sein. Die in jedem Einzelfall zu treffende Anordnung setzt eine sorgfältige, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtete kriminalistische, prognostische Auswertung, Beurteilung und Bewertung der konkreten Tatumstände sowie der Täterpersönlichkeit voraus. Sie muss eine einzelfallbezogene Begründung erhalten und darf nicht formularmäßig ausgeführt werden.

Nun gibt es einige Angehörige der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommerns, die schon 20, 30 oder noch mehr Jahre Polizisten oder Kriminalisten sind und genau das immer wieder sagen. Ob nun 4 oder 9% der Beschuldigten oder 3 oder 6% ergibt sich allein aus „… eine sorgfältige, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtete kriminalistisch, prognostische Auswertung, Beurteilung und Bewertung der konkreten Tatumstände sowie der Täterpersönlichkeit ….“ Die sich daraus ergebende einzelfallbezogene Begründung ist dann obligatorisch. Das mit der Anordnung zur ED-Behandlung, hier wird auf den § 81 b, 2. Alternative StPO abgestellt, löst einen Verwaltungsakt aus. Es ist alles gut, wenn der/die Betroffene zu der durch den Beamten angeordneten ED-Behandlung erscheint.

Legt der/die Betroffene Widerspruch ein, wird dieser, so in einem Anschreiben des Polizeipräsidiums Rostock vom 22.02.2013, durch das Justiziariat bearbeitet. Auch gut! Doch, was passiert, wenn er/sie nicht erscheint, ohne Widerspruch? Was ist, wenn der Widerspruch durch das Justiziariat abgewiesen wurde und der Proband trotzdem nicht kommt und die Möglichkeiten des Zwangsgeldes ausgeschöpft sind? Es stellen sich dann für den anordnenden Beamten die Fragen: Wie geht es dann weiter? Wie wird durch wen der begonnene Verwaltungsakt um gesetzt? Wie hoch darf das angedrohte Zwangsgeld eigentlich sein? Wie wird es beigetrieben? Dass es hier Klärungsbedarf gibt, wird auch durch das Justiziariat erkannt.

Obwohl die dem Sachbearbeiter aus dem Vorgangsassistenten zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Anordnung und Vorladung zur ED-Behandlung nicht den rechtlichen Anforderungen genügen, was den Leitern der Polizeiinspektionen bekannt sein dürfte (am 22.02.2013 auf der Inspektionsleiterbesprechung erörtert), gibt es eine entsprechende Zielvereinbarung! Da nutzt es auch nichts, dass die Ermittler mit Datum vom 22.02.2013 ein neues Formular zur Anordnung und Vorladung zur ED-Behandlung erhalten haben. Selbst in diesem Dokument wird auf weitere bestehende Unzulänglichkeiten verwiesen, so beispielsweise bei der Androhung von Zwangsmaßnahmen. Hier ergeht der Hinweis:

Problematisch, weil man in den meisten Fällen zu wenig Infos zur Person hat (Einkommen usw.) und das Verfahren auch mehrstufig ist. Im Moment ist auch noch nicht geklärt, wie das Verfahren betrieben werden soll.“ So das Justiziariat des Polizeipräsidiums.

Und trotzdem gibt es diese Zielvereinbarung.

Um den Punkt der Statistik zu den Zielvereinbarungen für die Kriminalpolizei dann aber doch erheben zu können, wird von den Verantwortlichen zu einem „Zaubertrick“ gegriffen; es werden die Anordnungen zur ED-Behandlung gezählt. Ob sie auch wirklich durchgeführt wurden oder auch nicht, ist dabei völlig irrelevant. Zu dieser Verfahrensweise passt der Ausspruch eines hier namentlich nicht mehr bekannten Ökonomen/Wirtschaftswissenschaftlers: „Statistik ist wie ein Bikini, sie zeigt das Schöne und verdeckt das Wesentliche.“

Aber eigentlich geht es nicht nur um die Frage der Zielvereinbarung sondern um die Frage der gerichtsfesten Anordnung und Vorladung durch den Beamten zur ED-Behandlung gem. § 81 b, 2. Alternative StPO. Hier erscheint es angebracht, eine Präsidialverfügung durch das Justiziariat erarbeiten zu lassen, damit die ermittelnden Beamten Rechts- und Handlungssicherheit erlangen und die Rechte der Beschuldigten gewahrt bleiben.

Als nächstes muss dann geklärt werden, was passiert mit den auf Anordnung gefertigten Unterlagen der ED-Behandlung bzw. den erfassten Inhalten, die u.a. auch in bundes- und landesweiten polizeilichen Dateien geführt werden? Wie verhält es sich mit den Verfahren, die als „Bekannt“ an die Staatsanwaltschaft abgegebenen und die, wie bekannt, zu einem hohen prozentualem Anteil gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden?

Doch das ist dann wieder ein anderes Thema.