Ehrenamt in Hessen - Gesetzliche Vorschriften und Regelungen – ein Vorbild für andere Bundesländer und den Bund!?
15.05.2019
Die Bürger Hessens haben mit großer Mehrheit (89 Prozent) für die Aufnahme des neuen Staatsziels „Förderung des Ehrenamtes“ in die hessische Verfassung gestimmt.
Staatsziel in Hessen – Neuer Artikel 26f Hessische Verfassung
„Der ehrenamtliche Einsatz für das Gemeinwohl genießt den Schutz und die Förderung des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.“
Ein Staatsziel setzt Richtlinien für politisches Handeln und nimmt einen erhöhten Stellenwert in unserem Rechtssystem ein. Das Land Hessen möchte mit dem neuen Staatsziel ein Zeichen setzen: Freiwilliges Engagement hilft der Gesellschaft und wird vom Land Hessen unterstützt. Die soziale, politische und kulturelle Bedeutung des Ehrenamtes ist groß und wird nun unter besonderen Schutz gestellt. Der Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände sind durch das neue Staatsziel stärker verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ehrenamtliche Tätigkeiten zu fördern und zu unterstützen. Weitere Grundlagen für die Förderung des gewerkschaftlichen Ehrenamts ergeben sich aus:
Artikel 36 Hessische Verfassung – Koalitionsfreiheit
(1) Die Freiheit, sich in Gewerkschaften oder Unternehmervertretungen zu vereinigen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu verbessern, ist für alle gewährleistet.
(2) Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, Mitglied einer solchen Vereinigung zu werden.
und aus
Artikel 9 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Ausübung des Ehrenamts als Mitglied und Funktionär des Bund Deutscher Kriminalbeamter in Hessen
Als BDK-Mitglied und Vorstandsmitglied sind die Vorschriften des § 69 Abs. 3 Hessisches Beamtengesetz (HBG) und § 16 Hessische Urlaubsverordnung (HUrlVO) die wesentlichen Grundlagen, um im aktiven Dienst für den BDK Termine wahrnehmen zu können bzw. dürfen:
§ 16 HUrlVO – Dienstbefreiung
Dienstbefreiung ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub und unter Weitergewährung der Besoldung kann unter Beschränkung auf das notwendige Maß erteilt werden, soweit dringende dienstliche Gründe nicht entgegenstehen,
(1) zur Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten,
(2) aus besonderen Anlässen, insbesondere a) zur persönlichen Bildung, Fortbildung und zur Teilnahme an Lehrgängen und Veranstaltungen, die staatsbürgerlichen, dienstlichen, politischen, gewerkschaftlichen, wissenschaftlichen oder religiösen Interessen dienen, b) zur aktiven Teilnahme an Veranstaltungen, bei denen die Bundesrepublik Deutschland oder das Land Hessen repräsentativ vertreten ist, c) aus sonstigen wichtigen persönlichen Gründen.
§ 69 HBG – Urlaub, Dienstbefreiung
(3) Zur Ausübung einer sonstigen ehrenamtlichen politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung ist Beamtinnen und Beamten auf Antrag der erforderliche Urlaub unter Belassung der Besoldung zu gewähren, soweit der Dienstbetrieb dadurch nicht erheblich beeinträchtigt wird.
Da es in der Praxis immer wieder Diskussionen mit Vorgesetzten und Mitarbeitern der Personalabteilungen über die Gewährung von Sonderurlaub und Dienstbefreiung für die Ausübung einer ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Tätigkeit gibt, habe ich im nachfolgenden einmal die Überlegungen des Gesetzgebers aufgeführt: Die Beschäftigten des Landes Hessen sind in besonderen Maßen verpflichtet, innerhalb und außerhalb des Dienstes nach Kräften für die Festlegung und Vertiefung des demokratischen Gedankens und einer demokratischen Staatsordnung einzutreten. Daher wird in § 69 (3) HBG ausdrücklich das Recht eingeräumt, sich als Bediensteter des Landes Hessen politisch und gewerkschaftlich zu betätigen und zu organisieren! Ganz wichtig und besonders zu erwähnen ist, dass die Regelungen des § 69 (3) HBG auch für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in Hessen gelten. Die entsprechende Regelung ergibt sich aus § 1 (3) Satz 1 HBG in Verbindung mit § 69 Abs. 3 HBG:
§ 1 HBG – Geltungsbereich
(3) § 27 sowie die §§ 69 und 70, soweit sie nicht den Erholungsurlaub betreffen, und § 81a gelten entsprechend für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Günstigere tarifvertragliche Regelungen bleiben unberührt.
Die Regelungen in § 69 (3) HBG stellen die Gewährung von Sonderurlaub und/oder Dienstbefreiung nicht in das Ermessen des Dienstherrn/Arbeitgebers, sondern begründen bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einen Rechtsanspruch. Außerdem ist § 69 (3) HBG nicht an bestimmte Gremiensitzungen oder eine bestimmte Zahl von Tagen begrenzt. Ein ganz wichtiger Gedanke, der leider in vielen Bundesländern und dem Bund so nicht gelebt wird.
Auf die Gewährung des Urlaubs nach § 69 (3) HBG haben die Beschäftigten einen Rechtsanspruch, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ausgeschlossen werden kann. Ein Ermessen steht dem Dienstherrn nicht zu! Für den zwingenden Versagungstatbestand in § 69 (3) HBG sind nur solche Umstände maßgebend, die den laufenden Dienstbetrieb in seiner Durchführung gerade durch die vorübergehende Beurlaubung erheblich beeinträchtigen. Das heißt, dass die Amtsgeschäfte nicht nur verzögert oder gestört werden, sondern auch unter Berücksichtigung der Nacharbeits- und Vertretungsmöglichkeiten tatsächlich ernsthaft behindern. Bei der im Einzelfall gebotenen Abwägung zwischen dem Grund des Urlaubs und den drohenden Beeinträchtigungen des Dienstbetriebes ist stets zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber selbst ehrenamtliches politisches und gewerkschaftliches Engagement als staatspolitisch förderungswürdig erachtet und deshalb begünstigt. Wenn man um diese Gedanken des Gesetzgebers weiß, wird schnell klar, dass die Anforderungen zur Versagung von Sonderurlaub oder Dienstbefreiung für die Ausübung einer ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Tätigkeit sehr hoch angesetzt sind und einer Prüfung – auch vor Gericht – standhalten müssen. In der Praxis ist es aber nur schwer vorstellbar, dass aktive Mitglieder des BDK eine ehrenamtliche gewerkschaftliche Tätigkeit ausüben, wenn es auf ihrer Dienststelle „drunter und drüber“ geht, man sich in einer Einsatzlage befindet oder ihre Anwesenheit und Mitarbeit dringend benötigt wird.
Den Grund für die aktive Förderung der ehrenamtlichen politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung durch den Gesetzgeber findet man in den Lehren aus der Vergangenheit. Der Gesetzgeber möchte unter allen Umständen vermeiden, dass sich der öffentliche Dienst wie zu Zeiten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik von der Gesellschaft absondert. Grundgedanke des Gesetzgebers hierfür ist eine möglichst pluralistisch zusammengesetzte Beamtenschaft, um die Integration aller Statusgruppen in die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen zu erleichtern.
Der Gesetzgeber wünscht eine politische und gewerkschaftliche Betätigung und hat mit § 69 (3) HBG eine Grundlage geschaffen, die diese Tätigkeit mit einem großzügig bemessenen Urlaubsanspruch unterstützt. Es gibt in § 69 (3) HBG keine Begrenzung der Anzahl der Tage oder Beschränkung auf bestimmte gewerkschaftliche Betätigung. Da die Koalitionsfreiheit durch Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz und Artikel 36 Hessische Verfassung nicht nur in ihrem Kernbereich, sondern auch darüber hinaus verfassungsrechtlich geschützt ist, kann § 69 (3) HBG insoweit nicht einschränkend ausgelegt werden, sondern umfasst alle Aktivitäten – mit Ausnahme von Arbeitskampfaktivitäten – die der Ausübung des Koalitionsrechts zuordnen lassen.
Der Begriff der gewerkschaftlichen Betätigung
Der Begriff der gewerkschaftlichen Betätigung ist somit weit auszulegen und nicht auf herausgehobene Tätigkeiten beschränkt. Der Rechtsgedanke des § 69 (3) HBG umfasst jede unentgeltliche Betätigung für eine Gewerkschaft und ist nicht auf die Wahrnehmung eigentlicher oder typischer gewerkschaftlicher Aufgaben beschränkt. Beispiele der gewerkschaftlichen Betätigung sind:
• Besuch von Mitgliederversammlungen
• Besuch von Vertrauensleuteversammlungen
• Besuch von Delegiertentagen
• Teilnahme an Arbeitsgruppen
• Teilnahme an Vorstandssitzungen
• Teilnahme an Info-Tagen der Gewerkschaften
• Teilnahme an Personalratssitzungen als Gewerkschaftsbeauftragte/r
• Teilnahme an gewerkschaftlichen Verhandlungen
• Besuch von Fortbildungsveranstaltungen
etc.
Voraussetzung ist immer ein entsprechender Antrag des/der Beschäftigten für den jeweiligen Anlass. Der Urlaub kann in Form einer Dienstbefreiung eines Teils des Arbeitstages bis zu mehreren Arbeitstagen gewährt werden.
Fazit
Hessen hat eine der gewerkschaftsfreundlichsten Gesetzgebungen, die bundesweiten Vorbildcharakter besitzt.
Der Gesetzgeber wünscht ausdrücklich eine politische und gewerkschaftliche Betätigung und hat mit § 69 (3) HBG eine Grundlage geschaffen, die diese Tätigkeit mit einem großzügig bemessenen Urlaubsanspruch unterstützt.
Es gibt keine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl an Tagen oder gewerkschaftlichen Aktivitäten – mit Ausnahme von Arbeitskampfaktivitäten.
Trotzdem ist auch in Hessen nicht alles Gold, was glänzt. Vorgesetzte und Mitarbeiter/-innen der Personalabteilungen, die sich in den Vorschriften nicht auskennen, sind die größten Feinde der vom Gesetzgeber gewünschten politischen und gewerkschaftlichen Betätigung.
Somit müssen Gewerkschaftsfunktionäre in Hessen ab und an Dienststellenleitungen von dem Versuch abhalten, Mitgliedern die gewerkschaftlichen Aktivitäten zu verbieten und Personalabteilungen von dem Versuch abhalten, Sonderurlaub im Nachhinein nicht anzuerkennen.
Der BDK funktioniert nur aufgrund des ehrenamtlichen Engagements seiner Mitglieder und hat in Hessen vorbildliche Rahmenbedingungen, um sich gemäß seiner Satzung für die beruflichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen seiner Mitglieder einzusetzen.
gefertigt:
Michael Finger, Landesgeschäftsführer BDK Hessen
Quelle: HBR – Hessisches Bedienstetenrecht; Gesetzessammlung und Kommentar von Dr. Torsten v. Roetteken und Christian Rothländer; R. v. Decker – Rehm-Verlag
Der komplette Beitrag ist in der Fachzeitschrift "Der Kriminalist" in der Ausgabe Mai 2019 im Landesteil Hessen abgedruckt.