Die Nationale Sicherheitsstrategie – (k)ein Instrument gesamtstaatlichen Handelns nach der Zeitenwende?
30.11.2023
Der Kriminalist, Editorial 12/2023
Am 14.06.2023 hat die Bundesregierung die erste Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) beschlossen und damit das höchste sicherheitspolitische „Dachdokument“ für Deutschland veröffentlicht. Ein
weiterer „Haken“ im Koalitionsvertrag war zu machen, in dem vereinbart wurde, innerhalb eines Jahres nach Regierungseintritt eine umfassende NSS vor- und damit die Grundzüge der künftigen Ausrichtung einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik festzulegen.
Integrierte Sicherheit, so die Leitlinie der NSS, deren zentrale Bedeutung bereits durch die Präsenz der Regierungsmitglieder bei der Veröffentlichung vor der Berliner Hauptstadtpresse deutlich wurde.
Nicht nur der Kanzler persönlich, auch die Ministerinnen Annalena Baerbock und Nancy Faeser traten zusammen mit den Ministern Boris Pistorius und Christian Lindner vor die Öffentlichkeit, um das Bild einer sicherheitspolitischen Ge- und Entschlossenheit zu komplettieren.
Integrierte Sicherheit? Eine Binsenweisheit in Kreisen der Sicherheitsbehörden. Gerade die letzten Jahre haben uns mit der Corona-Pandemie, der Flutkatastrophe, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und zuletzt dem Massaker der Hamas am 07.10.23 in Israel deutlich gezeigt, dass innere von äußeren Bedrohungen nicht mehr zu trennen sind und einer ressortübergreifenden Strategie und vor
allem Reaktion bedürfen.
Folgerichtig gliedert die NSS die integrierte Sicherheit in die Teilebenen Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit auf. Erweiterung der Cyber- und Weltraumfähigkeiten, Stärkung der Spionage- und Sabotageabwehr, Zwei-Prozent-Ziel in Sachen Nato-Fähigkeit (im mehrjährigen Durchschnitt). Stärkung der Zusammenarbeit im Katastrophenschutz auf EU-Ebene sowie der europäischen sicherheits- und verteidigungstechnologischen Basis, ganzheitliches Cyberlagebild, Ausbau des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Jede Menge richtige Ansätze, um den Gefahren einer immer komplexer werdenden Welt entgegenzutreten, die Rohstoff- und Energieversorgung zu sichern und Deutschland weniger abhängig von anderen Ländern zu machen.
Leider geht die NSS in vielen Bereichen nicht wesentlich über eine Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage hinaus und lässt, wenn man im Duktus der Einsatzlehre bleiben möchte, hinsichtlich der Entschlussfassung und Durchführungsplanung ganz wesentliche Fragestellungen unbeantwortet. Auch wenn die NSS als „Dachstrategie“ zu sehen ist, hätte sie Fragestellungen zur institutionellen Umsetzung beantworten und somit ressortübergreifende Koordinierungskompetenzen und -zuständigkeiten festlegen müssen.
Wir benötigen einen Nationalen Sicherheitsrat und eine Schutzkommission 2.0
Vor diesem Hintergrund ist es besonders misslich, dass die Bundesregierung dem guten Beispiel anderer Länder nicht gefolgt ist, und sich gegen die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates ausgesprochen hat. Dieser hätte als ständiges Gremium eine ebenen- und ressortübergreifende Analyse der Sicherheitslage gewährleisten können, in Krisenfällen operative Steuerungsfunktionen wahrgenommen und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern die notwendige strategische Beratung ermöglicht. Ein weiteres Gremium, dessen (Wieder-) Einrichtung aus Sicht des BDK in Ergänzung zu einem Nationalen Sicherheitsrat dringend erforderlich wäre, ist die sogenannte
Schutzkommission, die bis 2015 beim Bundesministerium des Innern bestand. Durch dieses interdisziplinäre Gremium von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erfolgte damals eine fundierte Beratung der politischen Entscheidungsebene, die heute umso mehr erforderlich wäre, um die Sicherheitslage ganzheitlich zu bewerten und daraus Handlungsempfehlungen für die Zukunft
abzuleiten.
Der BDK wird die künftige Diskussion um die Nationale Sicherheitsstrategie mit großem Interesse begleiten und sich konstruktiv einbringen. Es freut mich daher sehr, dass wir diese Thematik mit einem Beitrag von Bernd Walter zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe machen konnten, dessen Lektüre ich Ihnen hiermit ausdrücklich empfehle.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen eine friedvolle und hoffentlich einsatzfreie Weihnachtszeit und alles Gute für das kommende Jahr!
Herzliche Grüße
Dirk Peglow
BDK-Bundesvorsitzender