Die aktuelle Bedrohungslage durch die Terrorgruppe ISPK, der Werkzeugkasten der deutschen Polizei und die Koalitionsarithmetik
18.05.2024
„Abgeschottet, vernetzt und hochgefährlich“, so die Überschrift eines Artikels in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. März 2024 zu den Gefahren, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) ausgehen. Erneut wurde die Öffentlichkeit durch ein schreckliches Attentat auf die seit Jahren bestehende Gefahr durch islamistische Terrorgruppen aufmerksam. Mal wieder wurde im Anschluss die Abwehrfähigkeit der deutschen Sicherheitsbehörden gegen Bedrohungen durch terroristische Bestrebungen diskutiert und von Politikerinnen und Politikern mit unterschiedlichen Forderungen kommentiert.
Dem polizeilichen Einsatzgrundsatz „Ruhe bewahren und Überblick verschaffen“ folgend lässt sich jedoch feststellen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung terroristischer Bedrohungen (nicht nur durch islamistische Gruppierungen) grundsätzlich gut aufgestellt sind. Gerade im Zusammenhang mit der Bearbeitung islamistischer Gefährder wurden die Arbeitsprozesse in den letzten Jahren konsequent ausgebaut und fortentwickelt. So wurde bereits im Jahre 2004 das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) eingerichtet, in dem gewährleistet wird, dass Informationen, die bei unterschiedlichen Behörden zu Personen oder Sachverhalten vorliegen, unmittelbar ausgetauscht und einer Risikobewertung unterzogen werden. Auch die Implementierung und bundesweite Nutzung des Risikobewertungssystems RADARiTE war ein wichtiger Schritt bei der standardisierten Bewertung des Gefahrenpotenzials das von Personen aus dem islamistischen Spektrum ausgeht. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die polizeilichen Handwerkzeuge gerade aktuell durch gesetzgeberische Initiativen der Bundesregierung eingeschränkt werden. Beispiele hierfür sind die beabsichtigte gesetzliche Regelung und Einschränkung des Einsatzes von Vertrauenspersonen, die gerade im Bereich der Terrorismusbekämpfung ein unverzichtbares Werkzeug sind, terroristische Netzwerke aufzuklären. Aber auch die Verschärfung der Möglichkeiten zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung, durch die wir auch verschlüsselte Messengerdienste wie z.B. WhatsApp überwachen können, hat erhebliche Erkenntnisdefizite der Polizei zur Folge.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass der polizeiliche Werkzeugkasten durch die Regierungskoalition immer mehr zum Erste Hilfe Set mutiert, ist die kürzlich erzielte Einigung zur Vorratsdatenspeicherung, die offensichtlich zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem Justizminister erfolgte, ohne die Innenministerin einzubinden. Sie ist einem Kuhhandel gleichzusetzen, der der Koalitionsarithmetik geschuldet sein dürfte, die offensichtlich in Gesetzgebungsverfahren mehr Priorität zu haben scheint als fachliche Argumente. Wir alle dürfen gespannt sein, wie die seitens Herrn Buschmann zugesagten „redaktionellen Änderungen“ im Gesetzentwurf aussehen werden und hoffen, dass Frau Faeser bei der anstehenden Bearbeitung des Entwurfes im parlamentarischen Verfahren ihren angekündigten Widerstand gegen das beabsichtigte Quick-Freeze-Verfahren aufrechterhält.
Dass die Bundesinnenministerin den ISPK als die größte islamistische Bedrohung in Deutschland sieht, sollte allerdings auch dazu führen, dass sie ihre Entscheidung aus dem letzten Jahr, dem BKA und der Bundespolizei die Nutzung der verfahrensübergreifenden Recherche und Analyseplattform (VeRA) des Unternehmens Palantir Technologies zu untersagen, überdenkt.
Sie würde damit nicht nur der gesamten Fachlichkeit aller Bundesländer folgen, die sich für die Einführung ausgesprochen haben, sondern auch die Grundlage dafür schaffen, eine Implementierung dieses Systems in allen Bundesländern zu realisieren, dessen Nutzung derzeit nur in Hessen und Nordrhein-Westfalen erfolgt und in Bayern vor der Einführung steht.
Ihre Ankündigung, ein alternatives Analysetool zu VeRA in eigener digitaler Kompetenz zu entwickeln, ist aufgrund der Zeit, die ein solches Vorhaben in Anspruch nehmen wird und der bestehenden Bedrohungslagen – nicht nur durch den ISPK – aus Sicht der polizeilichen Praxis nicht zu akzeptieren.
Gerade bei der Abwehr terroristischer Bedrohungslagen sind die deutschen Sicherheitsbehörden dringend darauf angewiesen, die in den unterschiedlichen Datenbeständen vorliegenden Informationen zu relevanten Personen schnellstmöglich deutschlandweit zusammenzuführen, um Netzwerke zu identifizieren, Anschlagspläne zu erkennen und deren Umsetzung zu verhindern. Die flächendeckende Implementierung von VeRA würde wesentlich dazu beitragen, bestehende Erkenntnisdefizite zu Bedrohungslagen zu minimieren und sehr zeitnah erforderliche Maßnahmen einzuleiten.
Herzliche Grüße
Dirk Peglow, BDK-Bundesvorsitzender