Der Koalitionsvertrag in Sachsen liegt vor; Eine kritische Betrachtung durch den Bund Deutscher Kriminalbeamter
13.01.2020
Im Sondierungsergebnis vom 3. Oktober 2019 wurden die Weichen in Richtung der Kenia-Konstellation gestellt. Der vorliegende Koalitionsvertrag verschafft nunmehr Klarheit über die Ausrichtung der vor uns liegenden Legislaturperiode.
Uns ist bewusst, dass ein solcher Vertrag mit Blick auf die beteiligten Parteien – und unterschiedlichen Anschauungen zu sicherheitspolitischen Themen – nur Kompromisscharakter tragen kann. Und dass ein solcher Vertrag sich im praktischen Umsetzen ausleben, ja bewähren muss.
Dennoch gab für uns bereits das Ergebnis der Sondierungsgespräche Anlass für Bedenken, ob sich Belange der Inneren Sicherheit den Anforderungen genügend in den Vertragstexten wiederfinden. Diese bestehen nun auch beim vorliegenden Koalitionsvertrag.
Es wird nicht alles anders, oder Einiges vielleicht doch?
Im Regierungsprogramm 2019 bis 2024 der Sächsischen Union zu den Landtagswahlen 2019 finden wir noch Orientierungen, die im Koalitionsvertrag nicht oder nur abgeschwächt aufgenommen sind.
Um welche Rahmenbedingungen handelt es sich konkret?
Im Tenor der im Abschnitt „Sicherheit, Polizeigesetze, Kontrolle“ aufgeführten Einzelabsichten des Koalitionsvertrages schwingt implizit ein gewisser Misstrauensvorbehalt zum polizeilichen Handeln mit. Verhältnismäßigkeit und Kontrollierbarkeit der polizeilichen Maßnahmen sind per se Grundanforderungen rechtsstaatlichen Handelns. Eine gesonderte Heraushebung wie im Koalitionsvertrag suggeriert gesonderten Handlungsbedarf. Gleiche Bedenken werden hinsichtlich der generellen zeitlichen Befristung von neu eingeführten Befugnissen, der Einführung der Kennzeichnungspflicht und der Ausstellung von Kontrollbescheinigungen gesehen, da hier neben dem mit schwingenden Misstrauensvorbehalt zudem zusätzliche Belastungen für die Polizei im Einsatzgeschehen verbunden sind.
Die sächsische Polizei benötigt ein modernes und handhabungssicheres Polizeirecht. Das beinhaltet neben den Standardbefugnissen zwingend die Bereitstellung entsprechender innovativer gefahrenabwehrrechtlich basierender Ermittlungsinstrumentarien. Im Regierungsprogramm der CDU zu den Landtagswahlen 2019 ist als Prämisse ausgeführt, dass das sächsische Polizeirecht weiterentwickelt und durch Einführung effizienter Instrumente, wie zum Beispiel der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung, ergänzt werden soll. Diese erklärte Absicht wurde komplett im Koalitionsvertrag aufgeben. Sollte hier nicht nachgebessert werden, bleibt es somit bei einem den Anforderungen nicht gerecht werdenden Polizeirecht in Sachsen.
Der BDK setzt sich für eine weitgehende Vereinheitlichung der Polizeigesetze der Länder ein. Ein erste Schritt wäre ein sich auf der Höhe der Zeit befindliches „Musterpolizeigesetz“ für die Polizei des Bundes und der Länder. Dies ist mehr als überfällig, da insbesondere durch das Fehlen einheitlicher Regelungen Sicherheitslücken bedingt sind. Dieses Gesetz bringt Handlungssicherheit und schließt solche Sicherheitslücken. Die unter dem Vorsitz des Freistaates Sachsen in der Innenminister-konferenz erreichten Übereinkünfte waren eine Chance, um zu abgestimmten und handlungssicheren Bekämpfungsmaßnahmen in Deutschland zu gelangen. Leider ist derzeitig keine Rede mehr davon.
Die Polizei bedarf einer für die Aufgabenerfüllung hinreichenden personellen Unterlegung. Das im Koalitionsvertrag angeregte Festhalten am Einstellungskorridor steht als Vorgabe, was zu begrüßen ist. Diese Vorgabe ist über die derzeitige Legislaturperiode hinaus zu verfolgen. Der BDK sieht ein deutliches Erfordernis, den Stellenansatz bei Polizeivollzugsbeamten und Tarifpersonal weiter zu stabilisieren und auszubauen.
Zu betrachten ist neben der Frage der Quantität auch die der Qualität des Personals. Der BDK lehnt jegliche Absenkung von Standards in der Aus- und Fortbildung ab, auch nicht um den Preis zusätzlicher personeller Ressourcen. Insofern ist in die Aus- und Fortbildung weiter deutlich zu investieren. Der BDK spricht sich für eine spezialisierte, verwendungsbezogene Aus- und Fortbildung aus. Ein wichtiges Ziel des BDK ist der Aufbau einer Kriminalpolizei mit fundiert ausgebildeten Kriminalisten und/oder Seiteneinsteigern mit abgeschlossenem Studium und kriminalpolizeilicher Zusatzausbildung.
Der im Rahmen der Sicherheitskooperation der Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erreichte Fortschritt im Zusammenwirken der Bundesländer bei der Aus- und Fortbildung, der Erarbeitung gemeinsamer Standards und der Nutzung von Synergien muss weiterverfolgt werden.
Kein Bedarf wird bei der Schaffung neuer Strukturen in der Kriminalitätsbekämpfung gesehen. Der BDK spricht sich deutlich für eine leistungsfähige Kriminalpolizei in ihrer Untergliederung im Bestand der Allgemeinen Aufbauorganisation aus. Insofern bedarf die Bekämpfung von beständig auftretenden Kriminalitätsphänomen nur in Ausnahmen gesonderte Organisationseinheiten, da sonst die Gefahr einer Zergliederung gesehen wird. In der Gestaltung der polizeilichen Sicherheitsarchitektur dürfen wir neben dem Hinwenden auf herausgehobene Kriminalitätsfelder den Blick für die sogenannte Allgemeine Kriminalität nicht verlieren. Beispielhaft sei hier auf den schweren Einbruchsdiebstahl im Grünen Gewölbe verwiesen. Solche herauszuhebenden Einzelsachverhalte führen die Polizei schnell an Leistungsgrenzen. Es bedarf einer personell gut aufgestellten und funktionalen Kriminalpolizei. Erfahrungswissen ist hier von immenser Bedeutung.
Dazu hätten wir uns eine dezidierte Aussage im Koalitionsvertrag gewünscht.
Der BDK begrüßt die Absicht, neben der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) einen periodisch zu erstellenden Sicherheitsbericht und entsprechende Dunkelfeldforschungen als Grundlage für die Bewertung der Inneren Sicherheit in Sachsen heranzuziehen. Es ist grundsätzliche Forderung des BDK, neben der PKS – die bekanntermaßen eine nur eingeschränkte, statistische Sicht auf die Kriminalitätsbelastung erlaubt – zusätzliche Erhebungen zu schaffen, um weitere Aspekte, wie in diesem Zusammenhang nicht betrachtete Kriminalitätsfelder oder auch das subjektive Sicherheitsgefühl in die Bewertung einbeziehen zu können.
Der BDK sieht Erscheinungsformen der politisch motivierten Kriminalität in allen Ausprägungen als deutlich gesellschaftsgefährlich an. Jeder Form von Extremismus ist entschieden entgegenzutreten. Eine Abstufung nach nur „gewalttätig“ wie beim Linksextremismus im Koalitionsvertrag öffnet Möglichkeiten unterschiedlicher Auslegungen. Die Entwicklungen in Leipzig lassen das im extremistischen Hintergrund vorhandene gefährliche Potenzial deutlich werden.
Begrüßt wird das klare Bekenntnis zu einem wirksamen Verfassungsschutz in Sachsen, einer bundesweiten Zusammenarbeit dieser Behörden und einer belastbaren Gestaltung des Zusammenwirkens von Polizei und Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz bedarf gleich der Polizei einer gut ausgebildeten personellen Basis und der Bereitstellung erforderlicher Ermittlungsinstrumentarien.
Die Dienst- und Lebensbedingungen in der Polizei bedürfen einer Verbesserung. Neben einer leistungsgerechte Besoldung wird Änderungs- und Modernisierungsbedarf etwa bei der Flexibilisierung der Dienstzeiten, Jahresarbeits- und Lebensarbeitszeitkonten, Aufstiegsmöglichkeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Überstundenvergütung, Dienst zu ungünstigen Zeiten und Zulagen gesehen. Der BDK sieht hier deutlich Möglichkeiten, um den öffentlichen Dienst weiter attraktiv und zukunftsfähig zu machen. Hier bieten die Aussagen des Koalitionsvertrages interessante Lösungsansätze. Die ergriffenen Maßnahmen zur Weitentwicklung des Sächsischen Dienstrechtes unter wertschätzenden Gesichtspunkten sind weiter fortzuführen.
Wir meinen:
Der BDK wird die Umsetzung der im Koalitionsvertrag beinhalteten Prämissen kritisch, aber förderlich begleiten und bietet seine Mitwirkung ausdrücklich an.
Vor allem aber fordern wir Kontinuität in der Sicherheitspolitik in Sachsen. Dabei gilt es auf dem Erreichten aufzubauen. Die Ausgestaltung der Inneren Sicherheit darf nicht zur Disposition stehen und ist auf hohem Niveau weiter zu verfolgen.
Peter Guld
Landesvorsitzender Sachsen