Cybercrime: Schlag gegen Online-Anlagebetrüger
13.04.2023
Der NDR übertrug die Pressekonferenz aus Braunschweig in einem Livestream. Aus der Pressemitteilung hierzu: 1)
„Experten der Braunschweiger und Rostocker Polizei waren mit verschiedenen ausländischen Spezialkräften im Auftrag der Staatsanwaltschaften Göttingen in Zusammenarbeit mit Eurojust sowie Europol bereits am 22. März ausgerückt. Die Braunschweiger Polizei hat dies aus ermittlungstaktischen Gründen erst am Mittwoch bekannt gegeben. …
Die Ermittler sprechen aktuell von mehr als 33.000 Geschädigten mit einem Schaden mehr als 89 Millionen Euro. Für Deutschland gehen die Fahnder von mehr als 5.500 Betroffenen und einem Schaden von mehr als 22 Millionen Euro aus.“
Einen kleinen Eindruck von den mit solchen Verfahren verbundenen Anforderungen vermittelten die während der Pressekonferenz und auch in früheren Pressemeldungen enthaltenen Fakten.
„Crime as a service“: Die Täterstrukturen zeigen kein Oberhaupt nach Mafia-Art, sondern modernes Dienstleistertum. Arbeitsteilig stellt eine Tätergruppe die IT-Plattform zur Verfügung, eine andere Gruppe bahnt mittels im Ausland befindlicher Callcenter den Kontakt zu den Opfern an und bewirkt die Überweisungen, eine dritte verschleiert durch Geldwäsche in mehrstufigen Verfahren über Konten im In- und Ausland sowie teilweise über Kryptowährungen den Verbleib der Beute.
International: Geschädigte finden sich auf fast allen Kontinenten, sie wurden mit zielgruppenorientierten Internetseiten zu den Anlageportalen gelockt. Die fünf Haupttäter kommen aus Rumänien, Bulgarien und Israel. Informationsaustausch und Koordinierung der Ermittlungen erfordern viel Zeit.
Ausmaß: Es gelang, bei IT-Dienstleistern mehr als 10 Terrabyte Daten sicherzustellen, die ausgewertet werden müssen. Darunter waren zwei Plattformen mit Kundendatenbanken - allein daraus wurde ein Schaden von rd. 89 Mio. Euro bei mehr als 33.000 Opfern errechnet, darunter mehr als 5.500 in Deutschland. Das Dunkelfeld betreffend die vier anderen bekannten, aber nicht sichergestellten Datenbanken lässt sich entsprechend nur schätzen.
Aufwand: Seitens der Zentralen Kriminalinspektion Braunschweig und der Staatsanwaltschaft Göttingen galt es in den mehrjährigen Bemühungen, in Zusammenarbeit mit Europol sowie Eurojust die Ermittlungen in einer Vielzahl von Ländern zu koordinieren und letztlich die Durchsuchungen und Festnahmen zu organisieren. Eine Herausforderung ist die Bewältigung der Datenmenge - hier fehlt eine „digitale Asservatenkammer“, eine Beweismittelcloud, und auch Auswertesoftware gilt es den sich wandelnden Anforderungen anzupassen.
Prävention: Innenministerin Behrens wies besonders auf erforderliche Sensibilisierung bezüglich Werbung im Netz hin. Es gelte die Empfehlung, derartige Angebote über die Hausbank prüfen zu lassen.
Eine Journalistin wies darauf hin, dass es sehr viele Tätergruppen gäbe, und fragte nach, ob überall in Niedersachsen so ermittelt würde.
Innenministerin Behrens erklärte, in diesem Fall sei es der Polizei gelungen, digital mitzuhalten. Derartige Cybercrime-Fachkommissariate gebe es in allen ZKI’en. Da seien besondere Kompetenzen vorhanden, die über normale Polizeiarbeit hinausgingen, hier sei eine hohe Kompetenz gefordert. Wie könne die Polizei in Zukunft mithalten. Innenministerin Behrens erklärte, die Kompetenzen der Polizei betreffend Cyberkriminalität stärken zu wollen. Sie wolle sich in diesem Zusammenhang auch für eine zentrale Beweismittelcloud für Organisierte Kriminalität und darüber hinaus einsetzen. Nur mit einer sehr guten Ausstattung sei die riesige Datenmenge zu bewältigen. Das gelte auch für den Bereich der Kinderpornografie. Sie setze sich für die entsprechende Finanzierung im Rahmen der aktuellen Erstellung der Haushaltspläne für die Jahre 2024ff. ein.
Dieser Fall zeigt sehr deutlich die Erfordernisse sachgerechter, aktuellen Anforderungen angepasster Kriminalitätsbekämpfung auf. Die Ermittlungen der ZKI Braunschweig und der Staatsanwaltschaft Göttingen führten zu einem achtenswerten Erfolg, unsere Anerkennung!
Als BDK Landesverband Niedersachsen weisen wir immer wieder auf erkannte Defizite hin. Also gilt es auch hier sehr genau auf überwundene und vor allem (noch) nicht überwundene Hindernisse zu schauen und Abhilfe zu schaffen.
Sehr deutlich ergab sich aus der Pressekonferenz: technische und personelle Ausstattung (Personalstärke und Qualifikation) sind die maßgeblichen Stellschrauben - und kosten Geld. Wir begrüßen, dass Innenministerin Behrens die IT-Ausstattung (Stichwort Beweismittelcloud) in die Haushaltsberatungen einbringt.
Daneben allerdings spielt auch die Qualifikation der Beschäftigten eine Rolle - und Personal überhaupt. Erst kürzlich wiesen wir auf Problembereiche hin:
- Nachwuchssorgen: 2) „Es gibt tolle Bewerber, aber längst nicht alle schaffen das Auswahlprozedere. Wir müssen was tun, um den Polizeiberuf attraktiver zu gestalten.“ „Die Nachwuchskontingente werden kaum mehr aufgefüllt. Die Luft wird dünner, weil parallel die älteren Jahrgänge in Pension gehen.“
- Personalzuweisung auf Basis der Kriminalstatistik: Trotz der beschriebenen akribischen Ermittlungsarbeit werden diese Taten überhaupt nicht in der PKS erfasst, es gibt diese Straftaten dort überhaupt nicht, auch wenn zur Anzeige gebracht und aufgeklärt - Tatorte unbekannt oder liegen im Ausland. Also kein Personal! 3) „Nicht erfasst, nicht sichtbar gemacht - weil, Kontakt über Telefon und Internet lassen nicht erkennen, von wo aus die Tat begangen wurde, damit keine Erfassung in der PKS“
- Stellenbewertung: 4) „Doch wer bearbeitet genau diese Straftaten? Richtig, die Zentralen Kriminalinspektionen. Hier wird die herausragende, kriminalpolizeiliche Arbeit nicht wertgeschätzt.“
- Qualifizierung bereits im Bachelor-Studium für eine direkte Verwendung bei der Kriminalpolizei: 5) „Da die Anforderungen an polizeiliche Ermittlungsarbeit immer komplexer und vernetzter werden, ist es wichtig, diesen Schwerpunkt im Studium noch weiter zu vertiefen, um die hohe Qualität der Ermittlungen weiterhin zu garantieren.“
- Fachkräfte - auch und besonders im IT-Bereich: Im Tarifbereich muss durch Maßnahmen wie Höhergruppierung und Verbeamtung entgegengewirkt werden, wenn qualifizierte und eingearbeitete Fachkräfte feststellen, dass andere Arbeitgeber bessere Angebote haben und abwandern.
Wir bleiben dran - und hoffen auf zielführende Entscheidungen auch auf der politischen Ebene, damit die weiteren Ermittlungen zu einem erfolgreichen Verfahrensabschluss geführt werden können und damit dies kein Einzelfall bleibt.
Der Geschäftsführende Landesvorstand
1) https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Cybercrime-Betrug-in-Millionenhoehe-Hauptverdaechtige-in-Haft,cybercrime220.html
2) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/bdk-in-den-medien-interview-bei-der-braunschweiger-zeitung
3) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/pks-zunahme-der-gewalt-gegen-einsatzkraefte
4) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/spezialdienststellen-sind-nicht-wichtig
5) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/attraktiv-und-effizient-geht-aber-woanders