BVerwG zur gesundheitlichen Eignung bei der Verbeamtung

25.07.2013

BVerwG, Urteil vom 25.07.2013, Az. 2 C 12.11. Schlagworte: Gesundheitsprüfung, Verbeamtung, Amtsarzt, Polizeiarzt, Schwerbehinderung.
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Leitsätze: 

  1. Bei der Feststellung der gesundheitlichen Eignung von Beamtenbewerbern steht dem Dienstherrn kein Beurteilungsspielraum zu.
  1. Ein Beamtenbewerber ist gesundheitlich nicht geeignet, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist (Änderung der Rechtsprechung).

 

Ergänzende Auszüge aus dem Urteil: 

RN9: „Erweist sich der Kläger als gesundheitlich geeignet, steht ihm ein Anspruch auf Verbeamtung zu, wenn er der fachlich am besten geeignete Bewerber für eine freie Stelle als Studienrat ist. Hierfür muss der insoweit bestehende Beurteilungsspielraum der für die Bewerberauswahl zuständigen Stelle auf Null reduziert sein.“ 

RN10: „Nach Art. 33 Abs. 2 GG und nach § 9 BeamtStG, der nach § 1 dieses Gesetzes für das Statusrecht der Landesbeamten unmittelbar gilt, sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Geeignet in diesem Sinne ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist (BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - BVerfGE 92, 140 <151>). Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2008 - 2 BvR 2571/07 - BVerfGK 14, 492 <496> = juris Rn. 11). Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Er kann nicht in den Leistungsvergleich der Bewerber um die zur Vergabe stehenden Ämter einbezogen werden.“ 

RN11: „Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen des Bewerbers festgestellt und deren Auswirkungen auf sein Leistungsvermögen bestimmt werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt [später konkretisierend Amtsarzt oder einen beamteten Arzt – ggf. unter Hinzuziehung eines Facharztes] verfügt.

 

Speziell zur Prognose der Dienstfähigkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze:

RN14: „Die Prognose erfasst den Zeitraum bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze. Es kommt darauf an, ob der Beamtenbewerber voraussichtlich bis zu diesem Zeitpunkt Dienst leisten wird oder wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden muss.“ 

RN15: „Dieser Prognosezeitraum folgt aus den in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätzen des Lebenszeit- und des Alimentationsprinzips. Diese Grundsätze verpflichten den Dienstherrn zur lebenslangen Versorgung der Ruhestandsbeamten. Daher verleihen sie dem Interesse des Dienstherrn an einem ausgewogenen zeitlichen Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit der Beamten einen verfassungsrechtlichen Stellenwert. Durch die Festlegung der Höchstaltersgrenze für die Verbeamtung und der Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand bringen Gesetz- und Verordnungsgeber zum Ausdruck, welche Lebensdienstzeit angemessen ist, um die Altersversorgung zu erdienen.“ 

RN19: „Angesichts des sich über Jahrzehnte erstreckenden Prognosezeitraums und der Komplexität der medizinischen Prognosen sind Entscheidungen über die gesundheitliche Eignung eines Beamtenbewerbers mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Einschätzung der gesundheitlichen Entwicklung, sondern auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt. Künftige Präventions- oder Heilmethoden können heute noch nicht einbezogen werden. Vielfach ist auch die Wechselwirkung und damit Ursächlichkeit einzelner Faktoren für das Risiko schwerwiegender Symptombildungen noch nicht sicher erforscht.“ 

RN21: „Eine entsprechende Prognosebeurteilung setzt eine hinreichende Tatsachenbasis voraus. Die gegenwärtig vorhandene gesundheitliche Eignung kann wegen künftiger Entwicklungen nur verneint werden, wenn durch tatsächliche Anhaltspunkte belegt werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist.“

 

Zu besonderen Voraussetzungen bei Schwerbehinderten:

RN36: „Während grundsätzlich bei der Einstellung von Beamten die körperliche Eignung für die gesamte Laufbahn mit allen zu ihr gehörenden Ämtern und den diesen zugeordneten Dienstposten zu verlangen ist (…), gilt dies bei Schwerbehinderten daher nicht. Hier wird nur das Mindestmaß körperlicher Eignung vorausgesetzt, so dass der Schwerbehinderte nicht für alle Dienstposten geeignet sein muss. Zu prüfen ist vielmehr, ob die körperliche Eignung ausreicht, um dem Bewerber irgendeine amtsangemessene Beschäftigung zuweisen zu können, die mit den dienstlichen Bedürfnissen in Einklang steht (…)“. 

RN37: „Kann ein schwerbehinderter Bewerber auch diese Anforderungen nicht erfüllen, scheidet eine Übernahme in das Beamtenverhältnis aus. Dies gilt auch in Ansehung der Gewährleistung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, weil die Ungleichbehandlung dann auf zwingenden Gründen beruht. Fehlen einer Person gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (…).“ 

 

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