BVerwG zur Erforderlichkeit von Anlassbeurteilungen

28.08.2019

BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019, Az. 2 C 1.18; Beurteilungen, Anlassbeurteilungen
BVerwG zur Erforderlichkeit von Anlassbeurteilungen
BVerwG, 2 C 1.18Anlassbeurteilungen bei neuen Tätigkeiten nur bei höherwertigem Statusamt und wenn die Aufgabe über einen längeren Zeitraum wahrgenommen wird

Bei einem Wechsel der Tätigkeit kommt in der Personalratsarbeit regelmäßig die Frage auf, ob daraus ein Anspruch oder die Notwendigkeit auf eine Anlassbeurteilung entsteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun in einem Fall aus Nordrhein-Westfalen. Geklagt hatten zwei Polizeibeamte in der Besoldungsgruppe A9, die vom Wach- und Streifendienst als Lehrkräfte in den Bereich Aus- und Fortbildung gewechselt hatten bei anstehenden Beförderungen nach A10. Die Beamten begehrten aufgrund der neuen Tätigkeit eine Anlassbeurteilung. Während das VG den Antrag der Beamten ablehnte, gab ihnen das OVG Münster Recht. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Entscheidung des OVG wieder auf und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Das BVerwG stellte fest: „Ein Aktualisierungsbedarf bei dienstlichen Beurteilungen besteht nur dann, wenn der Beamte über einen längeren Zeitraum Aufgaben auf einem Dienstposten wahrnimmt, der ausschließlich einem höherwertigen Statusamt zugeordnet ist. Es ist dagegen nicht Aufgabe einer dienstlichen Beurteilung - auch nicht mit Blick auf eine Beförderungsentscheidung - jedwede Veränderung in dem einem Beamten zugewiesenen Tätigkeitsbereich kleinteilig zu erfassen und nachzuzeichnen.“ Und weiter: „Ein Aktualisierungsbedarf bei dienstlichen Beurteilungen besteht nur dann, wenn der Beamte über einen längeren Zeitraum Aufgaben auf einem Dienstposten wahrnimmt, der ausschließlich einem höherwertigen Status­amt zugeordnet ist. Es ist dagegen nicht Aufgabe einer dienstlichen Beurteilung - auch nicht mit Blick auf eine Beförderungsentscheidung - jedwede Veränderung in dem einem Beamten zugewiesenen Tätigkeitsbereich kleinteilig zu erfassen und nachzuzeichnen.“ 

Leitsätze:

1. Es liegt - bei Einhaltung der verfassungs- und einfachrechtlichen Vorgaben - im grundsätzlich weiten Organisationsermessen des Dienstherrn, wie er das Beurteilungssystem für seine Beamten regelt. Ein Beurteilungssystem, das auf im Drei-Jahres-Rhythmus zu erstellenden Regelbeurteilungen beruht, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Bei der Frage, ob wegen einer Veränderung im Tätigkeitsbereich des Beamten eine Anlassbeurteilung zu erstellen ist, ist darauf zu achten, dass dadurch die Organisationsgrundentscheidung des Dienstherrn für ein Regelbeurteilungssystem nicht entwertet wird.

2. Eine dienstliche (Regel-)Beurteilung kann ihre für eine Auswahlentscheidung erforderliche hinreichende Aktualität verlieren, wenn der Beamte nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat (im Anschluss an BVerwG, Urteile vom 11. Februar 2009 - 2 A 7.06 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 44 Rn. 20, vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 Rn. 23 und Beschluss vom 10. Mai 2016 - 2 VR 2.15 - BVerwGE 155, 152 Rn. 23).

3. Ein erheblicher Zeitraum im vorstehenden Sinne liegt vor, wenn bei einem dreijährigen Regelbeurteilungszeitraum die anderen Aufgaben während des (deutlich) überwiegenden Teils (zu zwei Dritteln) des Beurteilungszeitraums wahrgenommen wurden, also zwei Jahre lang. Bei einem zweijährigen Regelbeurteilungszeitraum fehlt es an einem - eine Anlassbeurteilung erforderlich machenden - erheblichen Zeitraum.

4. Wesentlich andere Aufgaben im vorstehenden Sinne liegen vor, wenn der Beamte in seinem veränderten Tätigkeitsbereich Aufgaben wahrnimmt, die einem anderen (höherwertigen oder einer anderen Laufbahn zugehörigen) Statusamt zuzuordnen sind. Bei sog. gebündelten Dienstposten ist dies nur der Fall, wenn dieser nicht auch derjenigen Besoldungsgruppe zuzuordnen ist, der die bisherigen Aufgaben des Beamten entsprachen.

5. Muss für einen Beamten wegen einer veränderten Aufgabenwahrnehmung eine Anlassbeurteilung erstellt werden, hat dies nicht zwangsläufig zur Folge, dass allein deswegen auch für alle Mitbewerber, bei denen keine solche Tätigkeitsänderung eingetreten ist, ebenfalls Anlassbeurteilungen zu erstellen sind. Auch größere Zeitdifferenzen zwischen einer Regel- und einer Anlassbeurteilung sind hinzunehmen, solange ein Qualifikationsvergleich auf der Grundlage dieser Beurteilungen ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers nach Bestenauslesegrundsätzen möglich bleibt.

6. Einer Begründung des Gesamturteils bei einer im sog. Ankreuzverfahren oder allein anhand von Zahlen- oder Buchstabenwerten erstellten dienstlichen Beurteilung bedarf es nicht, wenn diese eine vergleichsweise geringe Zahl von Einzelmerkmalen (hier: sieben) betrifft, denen der Dienstherr zulässigerweise eine gleich große Bedeutung (dasselbe Gewicht) zumisst.

7. Die sog. Kollegialgerichtsregel, bei deren Vorliegen das für einen Schadensersatzanspruch erforderliche Verschulden ausgeschlossen sein kann, gilt auch für Auswahlentscheidungen und dienstliche Beurteilungen des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) der Polizei NRW.

 

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