BVerfG zur Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit wegen Beleidigung

19.05.2020

BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, Az 1 BvR 2459/19. Schlagworte: Meinungsfreiheit, Beleidigung
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Leitsätze: Der Beschluss enthält keine amtlichen Leitsätze, deswegen erfolgt der Rückgriff auf die Leitsätze des Bearbeiters aus dem Artikel auf HRR-Strafrecht: 

  1. Die Verurteilung des Klägers in einem Verwaltungsrechtsstreit wegen Beleidigung, der in seiner Klageschrift betreffend die Benutzungsordnung einer Stadtbibliothek die zuständige Leiterin des Rechtsamts unter anderem als „geisteskrank und persönlichkeitsbedingt zur Begehung erheblicher Straftaten bereit“ bezeichnet hatte, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Strafgerichte im Rahmen der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten berücksichtigt haben, dass die Äußerung sich zwar einerseits auf dienstliche Handlungen einer Amtsträgerin bezog und nur einem kleinen Personenkreis bekannt wurde, dass ihr jedoch ein erheblicher ehrschmälernder Gehalt zukam und sie lediglich einen schwach ausgeprägten Sachbezug aufwies.
  1. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschrift des § 185 StGB gehört. Bei dessen Anwendung ist grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung zwischen der Beeinträchtigung erforderlich, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht. Bei der Abwägungsentscheidung kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsschutz zu.
  1. Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge Kriterien anzulegen.
  1. Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht.
  1. Bei der Gewichtung der grundrechtlichen Interessen ist dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik Rechnung zu tragen. Allerdings setzt die Verfassung gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus.

 

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