BVerfG zur Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO
20.11.2019
Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur mangelnden Verhältnismäßigkeit und der unzureichenden Begründung eines Auffindeverdachts bzw. Anfangsverdachts geäußert. Grundrechtsverletzungen im Bereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 Abs 1, Abs 2 GG), zudem Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Knackpunkt in diesem Verfahren war, dass die Begründung der Durchsuchung auf Bilddateien gestützt wurde, die das Glied einer geschlechtsreifen männlichen Person zeigen, es aber nicht möglich war festzustellen, ob die abgebildete Person noch jugendlich oder bereits erwachsen war.
Holger Mann hat in HRRS 01/2020 dies treffend in folgende Leitsätze zusammengefasst:
- Der Verdacht des Besitzes jugendpornographischer Schriften kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Beschuldigte Bilddateien versandt hat, die das Glied einer geschlechtsreifen männlichen Person zeigen; denn der körperliche Entwicklungsstand lässt dann ohne weitere - ausdrückliche oder kontextabhängige - Hinweise auf das Alter keine Rückschlüsse darauf zu, ob der Abgebildete noch jugendlich oder bereits erwachsen ist. Anderes gilt, soweit der Empfänger der Dateien Angaben macht, die einen Austausch von kinder- oder jugendpornographischem Material zwischen ihm und dem Beschuldigten möglich erscheinen lassen (Hauptsacheentscheidung zur einstweiligen Anordnung vom 23. Mai 2019 [= HRRS 2019 Nr. 728]).
- Ein Auffindeverdacht hinsichtlich einer gegenwärtigen oder zumindest noch verfolgbaren Straftat nach § 184c StGB ist nicht ausreichend begründet, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Besitz und ein Verbreiten jugendpornographischer Schriften nur für eine einzelne, lange zurückliegende Tat bestehen, hinsichtlich derer jedenfalls Verfolgungsverjährung eingetreten wäre, während die Gerichte mit Blick auf mögliche jüngere Taten lediglich davon ausgehen, nach allgemeiner Lebenserfahrung sei es untypisch, dass solche Delikte sich auf Einzelfälle beschränkten.
- Rechtfertigte die nicht näher begründete Annahme einer dauerhaften Störung der Sexualpräferenz auch nach Jahren einen Anfangsverdacht für die Begehung von Straftaten nach §§ 184b, 184c StGB, so könnten gegen den Betroffenen über lange Zeiträume hinweg Ermittlungsmaßnahmen ohne das Hinzutreten weiterer Verdachtsmomente angeordnet werden, was auf eine unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht hinnehmbare weitreichende Entgrenzung der Strafverfolgung hinausliefe.
- Notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität hinreichender Anlass für eine Wohnungsdurchsuchung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen und über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Die Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind.
- Dem mit einer Durchsuchung verbundenen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend und zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein und in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.
- Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung können im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden.
- Die richterliche Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung von Datenträgern zum Zwecke der Durchsicht greift in das Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung ein. Für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt der fachgerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen für eine Durchsuchung noch erfüllt sind.
Externe Quelle:
- Volltext über rechtsprechung-im-internet.de
- Aufsatz in HRR-Strafrecht.de, Bearbeiter Holger Mann (HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1)