BVerfG zum EU-Haftbefehl und Prüfungserfordernissen der Haftbedingungen in Rumänen vor Auslieferung

01.12.2020

BVerfG, Beschluss vom 01.12.2020, Az. 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18. Schlagworte: EU-Haftbefehl, EHB, Vollstreckung, Auslieferung.
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Leitsätze: 

  1. Bei der Entscheidung unionsrechtlich vollständig determinierter Rechtsfragen kommen die Grundrechte des Grundgesetzes nicht als unmittelbarer Prüfungsmaßstab zur Anwendung. Maßgeblich sind grundsätzlich die Unionsgrundrechte.
  1. Bei der Auslegung der Grundrechte der Charta der Europäischen Union sind sowohl die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte konkretisierten Konventionsrechte als auch die von den Verfassungs- und Höchstgerichten der Mitgliedstaaten ausgeformten mitgliedstaatlichen Grundrechte, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben, heranzuziehen.
  1. Im Rahmen des europäischen Verfassungsgerichtsverbunds gewährleistet das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsschutz in Kooperation mit dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Verfassungs- und Höchstgerichten der anderen Mitgliedstaaten.
  1. Bei der von dem mitgliedstaatlichen Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Haftbedingungen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Gemeinschaftszellen hinsichtlich des einem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Raums zu unterscheiden, ob dieser unter 3 m², zwischen 3 m² und 4 m² oder über 4 m² liegt.
  1. Aus Art. 4 GRCh folgt die Pflicht der mit einem Überstellungsersuchen befassten Fachgerichte, im Einzelfall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob für den zu Überstellenden eine echte Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
  1. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union bei der Auslegung des Art. 4 GRCh angewandten Maßstäbe decken sich mit Art. 1 Abs. 1 GG sowohl hinsichtlich der Mindestanforderungen an Haftbedingungen im ersuchenden Staat als auch hinsichtlich der damit verbundenen Aufklärungspflichten des mit dem Überstellungsersuchen befassten Gerichts.
  1. Eine unter Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG begründete Begrenzung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts im Rahmen der Identitätskontrolle ist angesichts des durch Art. 4 GRCh gewährleisteten Grundrechtsschutzes im vorliegenden Fall nicht veranlasst.

 

Einfacher titelt Beck Aktuell in seinem Artikel vom 04.01.2021: „EU-Haftbefehl: Auslieferung nach Rumänien wegen unzureichender Prüfung der Haftbedingungen unzulässig“. 

Die Größe des Haftraumes in Rumänien wurde in beiden Fällen erfragt und lag bei 3m2 bzw. 4,15m2 – allerdings liege die starke Vermutung für einen EU-Grundrechtsverstoß vor. 

Auszug aus dem u. a. Artikel: „Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Haftbedingungen sei nach der Rechtsprechung des EuGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Gemeinschaftszellen hinsichtlich des einem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Raums zu unterscheiden, ob dieser unter drei Quadratmetern, zwischen drei und vier Quadratmetern oder über vier Quadratmetern liegt. Liegt der persönliche Raum in einer Gemeinschaftszelle unter drei Quadratmetern, begründe dies eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK.“ 

Das Urteil betrifft in erster Linie die Justiz, dennoch ist es beachtlich, da es sich bei Rumänien um einen inzwischen langjährigen Mitgliedsstaat der EU handelt. 

 

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