BSG zum Streitgespräch am Arbeitsplatz als Unfallursache
08.05.2022
Leitsatz: Auch ein alltäglicher Vorgang kann als ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis ein Arbeitsunfall sein.
Sachverhalt (RN2, 3): „Die 1987 geborene Klägerin kollabierte am 12.4.2010 an ihrem Arbeitsplatz auf einem Schreibtischstuhl sitzend. Der Notarzt reanimierte sie und wies sie in ein Krankenhaus ein, wo ihr ein Defibrillator implantiert wurde. Die Beklagte verneinte einen Arbeitsunfall, weil kein plötzliches äußeres Ereignis vorliege und es damit schon begrifflich an einem "Unfall" fehle. Die Klägerin habe bei der üblichen Arbeit einen "Herzinfarkt" erlitten und auf telefonische Nachfrage selbst angegeben, dass an diesem Tag keine Besonderheiten aufgetreten seien (Bescheid vom 22.9.2011).
Im April 2012 beantragte die Klägerin, diesen Bescheid zu überprüfen, weil sie keinen Herzinfarkt, sondern einen Herzstillstand erlitten habe. Es habe sich keinesfalls um eine normale berufliche Situation gehandelt, sondern vielmehr um einen sehr stressigen Tag. Nach Geschäftsschluss sei eine Kassendifferenz festgestellt worden. Die Filialleiterin sei krankheitsbedingt abwesend gewesen. Sie habe mit dem Kollegen, der die "offizielle Stellvertretung" übernommen habe, gestritten, weil dieser dem Gebietsleiter eine Kassendifferenz melden wollte, die ein anderer Kollege verursacht habe. Sie habe diesen Kollegen in Schutz nehmen wollen und eine Meldung für entbehrlich gehalten. Nach der Auseinandersetzung sei sie an ihren Schreibtisch zurückgekehrt und dann kollabiert.“
Zur Definition des Arbeitsunfalles an sich (RN13, Auszug): „Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zurzeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang). Die Verrichtung muss zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt haben (Unfallkausalität) und das Unfallereignis muss einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht (haftungsbegründende Kausalität) haben (stRspr; vgl zuletzt zB BSG Urteile vom 23.6.2020 - B 2 U 12/18 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 54 RdNr 8 und vom 6.10.2020 - B 2 U 9/19 R - juris RdNr 18 sowie B 2 U 13/19 R - juris RdNr 8, beide zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen jeweils mwN).“
Fazit aus der Besprechung auf Haufe: „Ein Streitgespräch mit einem Vorgesetzten kann nach einem Urteil des BSG ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis sein. Schon bloße Wahrnehmungen (wie z.B. Sehen, oder Hören) können danach äußere Ereignisse darstellen. Für die erforderliche Einwirkung von außen genügt es, dass die versicherte Person gesprochene Worte wahrnimmt und sich dadurch der Körperzustand verändert.“
Fundstelle(n):
- Bundessozialgericht, Entscheidung im Volltext
- Besprechung, Haufe, 02.11.2021: „Ein Streitgespräch als Arbeitsunfall?“