Bildung eines Pools von qualifizierten Ärzten für die Leichenschau in Lübeck

18.09.2020

Bereits im Jahr 1983 hatten die Generaalstaatsanwälte die Problematik erkannt und angemahnt, dass das Leichenschausystem nicht geeignet ist, nichtnatürliche Todesfälle mit der notwendigen Sicherheit erkennen zu können und forderten die Gesundheitsministerkonferenz auf, diesen Missstand durch geeignete Maßnahmen abzustellen. Die Kripo in Lübeck initiiert nun eine erste interdisziplinäre Fortbildung für Ärzte. Doch das darf nur ein erster Schritt in die richtige Richtung bleiben!
Trauer

"Wenn auf jedem Grab eines Ermordeten, von dem wir irrtümlich annehmen, dass er eines natürlichen Todes gestorben sei, eine Kerze brennen würde, wären nachts alle Friedhöfe hell erleuchtet."

Horst Herold
(1971-1981 Präsident des BKA)

Das berühmte Sinnbild von Horst Herold hat nichts an Aktualität verloren. Seit Jahren besteht in der polizeilichen Praxis das Problem, dass Ärzte häufig nicht zeitnah an einen Leichenfundort gelangen, um den Tod der Leiche amtlich zu bescheinigen. Wenn der Hausarzt des Verstorbenen nicht bekannt oder verhindert ist, bleibt in der Regel nur die Möglichkeit, auf einen durch Zufall erreichten Arzt oder den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zu warten. Diese oftmals mehrstündigen Wartezeiten sind für Angehörige belastend und binden unnötig polizeiliche Einsatzkräfte. Erscheint ein Arzt, so zeigt die Erfahrung, dass dieser nicht immer gewillt ist, eine vollumfängliche Leichenschau durchzuführen und die amtliche Todesbescheinigung gewissenhaft auszufüllen.

Diese Probleme sind tatsächlich nicht neu. Schon 1983 mahnten Generalstaatsanwälte an, dass das Leichenschausystem nicht geeignet ist, nichtnatürliche Todesfälle mit der notwendigen Sicherheit erkennen zu können und forderten die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) auf, diesen Missstand durch geeignete Maßnahmen abzustellen. 2007 setzte die Justizministerkonferenz (JuMiKo) die Projektgruppe „Verbesserung der Qualität der äußeren Leichenschau“ ein, die 2009 ihren Bericht vorlegte. Eine der Hauptforderungen der Projektgruppe war, die Befugnis zur Durchführung der äußeren Leichenschau an den Erwerb einer Qualifikation und anschließende regelmäßige Fortbildung zu knüpfen. Die Justizminister baten ihre Kolleginnen und Kollegen in der GMK, die Vorschläge der Projektgruppe umzusetzen. 2011 setzten dann die Gesundheitsminister eine Arbeitsgruppe der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) zu dem Thema ein. Ein wesentliches Arbeitsergebnis war, dass die äußere Leichenschau durch einen speziell im Rahmen einer Zusatzqualifikation fort- und weitergebildeten Arzt durchgeführt werden sollte. Die GMK nahm den Bericht der Arbeitsgruppe auf und empfahl den Ländern und Landesärztekammern die entsprechenden Prüfergebnisse umzusetzen. Auch die Bundesärztekammer (BÄK) nahm bereits 2011 die Reformvorschläge aus der Projektgruppe der Justizminister in Bezug auf die Fort- und Weiterbildung von Leichenschauärzten auf, indem sie folgende Regelung vorschlug:

Zur Vornahme der Todesfeststellung bleibt jeder approbierte Arzt gesetzlich verpflichtet. Die nachfolgende Leichenschau soll durch einen speziell qualifizierten Arzt erfolgen.

2014 bemängelte die 85. JuMiKo die nicht ausreichende Umsetzung der Empfehlungen der Projektgruppe und bat die Gesundheitsminister, auf eine Intensivierung der Umsetzung der AOLG hinzuwirken. Der vom niedersächsischen Landtag anlässlich der Krankenhausmorde in Delmenhorst und Oldenburg eingesetzte „Sonderausschuss für Patientensicherheit“ unterstrich 2016 in seinem Abschlussbericht die von der Projektgruppe der JuMiKo geforderten Professionalisierung der Leichenschau.

Leider änderte sich in der Praxis zunächst wenig.

Nun wurde zum 01.01.2020 die Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) in einem Punkt geändert: die Vergütung der ärztlichen Leichenschau. Diese wurde auf gut 165 € (plus Wegstreckenentschädigung pp.) mehr als vervierfacht und so für Ärzte auch finanziell lukrativ. Ein Anlass, etwas in Bewegung zu setzen.

Der Kriminaldauerdienst (KDD) der Bezirkskriminalinspektion (BKI) Lübeck pflegt „auf der Arbeitsebene“ schon seit Jahren eine enge Kooperation mit den Lübecker Notärzten, die sich durch gemeinsame Fortbildungen und gegenseitige Hospitationsmöglichkeiten auszeichnet. Die kommende Änderung der GOÄ nahmen die verantwortlichen Ansprechpartner des KDD Lübeck sowie der Lübecker Notärzte zum Anlass, die Kooperation zu intensivieren. Ende 2019 wurde bei der Polizeidirektion Lübeck in diesem Zusammenhang die „Arbeitsgruppe Ärzte“ gegründet. In dieser AG arbeiten neben vier Mitarbeitern des KDD Lübeck zwei kriminalpolizeiliche Sachbearbeiter für Todesermittlungsverfahren, die ärztlichen Leiter der Rettungsdienste Lübeck und Herzogtum-Lauenburg sowie ein Vorstandsmitglied der Ärztekammer S-H. KHK Christian Stahl, Dienstgruppenleiter im KDD Lübeck und maßgeblicher Ideengeber für diese Initiative, wurde als Leiter der AG eingesetzt.

Ziel der Arbeitsgruppe ist es zum einen, einen Pool von qualifizierten Ärzten für die ärztliche Leichenschau zu generieren, damit nach Möglichkeit rund um die Uhr ein qualifizierter Arzt zur ärztlichen Leichenschau und amtlichen Todesfeststellung alarmiert werden kann. Mit Hilfe dieses Pools sollen die Hausärzte und der Kassenärztliche Notdienst entlastet werden, um so zudem die Versorgung der übrigen Patienten zu verbessern. Weiterhin soll die AG Ärzte auch als Ansprechstelle dienen, an die sich sowohl Ärzte als auch Polizeibeamte wenden können, um die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Polizei nachhaltig zu verbessern.

Durch ein bemerkenswertes Engagement ist es nach unzähligen Kontaktaufnahmen und Besprechungen mit der Ärztekammer S-H, der KV, der Staatsanwaltschaft Lübeck, dem Landespolizeiamt S-H, dem Landeskriminalamt S-H, dem Interdisziplinären Fachforum Rechtsmedizin und dem Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) gelungen, eine von der Ärztekammer S-H anerkannte ärztliche Fortbildung für interessierte Ärzte ins Leben zu rufen.

In eintägigen Fortbildungen werden zunächst an vier Terminen insgesamt 24 Ärzte fortgebildet. Weitere sollen folgen. Die Fortbildung beinhaltet einen kriminalpolizeilichen sowie rechtlichen Teil, in dem den Ärzten kriminalpolizeiliche Aspekte am Leichenfundort, wesentliche Bestimmungen des schleswig-holsteinischen Bestattungsgesetzes und das anschließende Todesermittlungsverfahren nähergebracht werden. Abgerundet wird die Fortbildung mit der Teilnahme an einer Leichenschau und einem Vortrag zu Leichenerscheinungen durch das Rechtsmedizinische Institut des UKSH. Darüber hinaus ist die Integration eines E-Learning-Programmes, basierend auf dem „Großen Atlas der Rechtsmedizin“ des Interdisziplinären Fachforums Rechtsmedizin e.V., in Planung.

Aus dem Kreis der fortgebildeten Ärzte konnten genügend Ärzte für den geplanten Ärztepool gewonnen werden, der für den Lübecker Bereich nunmehr seinen Wirkbetrieb zum 01. Oktober 2020 aufnehmen wird. Mit den Ärzten des Pools und der AG Ärzte wird es zukünftig regelmäßige Treffen geben, um gemachte Erfahren auszutauschen und sich weiter fortbilden zu können.

Der BDK-Landesverband S-H als Fachverband der Kriminalistinnen und Kriminalisten befürwortet und unterstützt die Initiative der PD Lübeck ausdrücklich!

Nur durch für die ärztliche Leichenschau fortgebildete Ärzte kann die Qualität der Feststellung der Todesart (natürlicher oder nichtnatürlicher Tod) erhöht und somit die Staatsanwaltschaft bzw. die Kriminalpolizei in die Lage versetzt werden, Umstände eines nichtnatürlichen Todes ermitteln zu können.

Aus Sicht des BDK ist die Lübecker Lösung ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es darf aber nicht bei einer Insellösung bleiben. Der BDK fordert

> eine landesweite Adaption des Einsatzes von besonders qualifizierten Ärzten für die ärztliche Leichenschau.

Um die seit fast 40 Jahren bekannte und durch die Generalstaatsanwälte angemahnte Problematik nachhaltig zu beheben, spricht sich der BDK neben den bereits für Lübeck umgesetzten Maßnahmen für

> eine Änderung des Bestattungsgesetzes S-H aus.

Wenn die rechtlichen Grundlagen zur ärztlichen Leichenschau im Hinblick auf erforderliche Fortbildungen und Qualitätssicherung spezifiziert werden, kann es gelingen, die erkannten Missstände dauerhaft zu beheben.

Benjamin Schulz

für den BDK – Landesverband Schleswig-Holstein
Regionalsprecher des Bezirks Lübeck