BGH zur Zurückstellung der Benachrichtigung des Betroffenen über verdeckte Maßnahmen

03.02.2021

BGH, Beschluss vom 03.02.2021, Az. 6 BGs 4/21. Schlagworte: Verdeckte Maßnahmen, Benachrichtigungspflicht.
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Leitsätze:

 

Es erfolgt der Rückgriff auf die Leitsätze des Bearbeiters des Beitrags auf hrrs (Christian Becker): 

  1. Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 101 Abs. 5 StPO) ist ab dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt nach Beendigung der verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahme so lange gegeben, wie die begründete Erwartung besteht, dass durch die verdeckte Ermittlungsführung weitere beweiserhebliche Erkenntnisse gewonnen werden können. Werden in demselben Ermittlungsverfahren mehrere verdeckte Untersuchungshandlungen nach § 101 Abs. 1 StPO parallel oder sukzessive durchgeführt, so kann auch nach Beendigung einer Maßnahme deren Bekanntgabe zunächst unterbleiben, weil eine entsprechende Mitteilung die weitere Erforschung des Sachverhalts im Hinblick auf eine andere, noch verdeckt geführte Maßnahme gefährden könnte (§ 101 Abs. 6 Satz 4 StPO).
  1. Tragfähige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Untersuchungszwecks durch die Benachrichtigung des Beschuldigten von einer gegen ihn durchgeführten verdeckten Maßnahme können auch in Erkenntnissen eines anderen Ermittlungsverfahrens erblickt werden. Ist dort die Auswertung der Erkenntnisse noch nicht abgeschlossen und belegt die bisherige Verdachtslage die - über bloße Vermutungen hinausgehende - Annahme, dass zwischen den Beteiligten zur Tatzeit etwa persönliche Beziehungen bestanden, namentlich ein Nachrichtenaustausch auch über Nachrichtenmittler erfolgte, kann dies eine vorläufige weitere Zurückstellung zum Schutze des Untersuchungszwecks gebieten.
  1. Stützt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf solche Erkenntnisse aus einem Bezugsverfahren, ist der schlichte Hinweis auf noch ausstehende Auswertungen allerdings unzureichend. Erforderlich ist eine substantiierte, tatsachengestützte Darlegung der Gefährdung des Untersuchungszwecks anhand der konkreten Erkenntnis- und Verdachtslage sowie die Vorlage der vollständigen Ermittlungsakten, auch des in Bezug genommenen Verfahrens, um eine eigenverantwortliche gerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen.
  1. Der Gesetzgeber fordert bei der Entscheidung über die Zurückstellung der Unterrichtung eine Abwägung zwischen den Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einerseits und den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen anderseits. Dabei kommt der in Zeitabständen wiederkehrenden eigenverantwortlichen und nicht auf eine Plausibilitätsprüfung, etwa anhand eines Aktenvermerks nach § 101 Abs. 5 Satz 2 StPO, beschränkten gerichtlichen Kontrolle die Bedeutung zu, die Zurückstellung der an sich zu veranlassenden Benachrichtigung in zeitlicher Hinsicht auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen.
  1. Von Bedeutung für die gebotene Abwägung ist etwa, ob mit der noch nicht bekannt gewordenen Maßnahme beweiserhebliche Erkenntnisse erlangt werden könnten, etwa durch an die Auswertung zeitlich und inhaltlich anschließenden Folgemaßnahmen. Weiterhin ist in die gebotene Abwägung die Art und Weise der Verfahrensführung einzustellen. Wird dem Ermittlungsverfahren zeitweise oder gar längerfristig ohne einen durch die Verfahrensakten dokumentierten Sachgrund nicht der notwendige zügige Fortgang eingegeben, ist auch dieser Aspekt zu bewerten.
  1. Die Belange des Betroffenen gewinnen mit zunehmender Dauer der Zurückstellung an Gewicht. Die gegenteilige Annahme, das Benachrichtigungsinteresse nehme mit der Dauer des Verfahrens ab und sei am größten unmittelbar im Nachgang zur staatlichen Datenerhebung, beruht auf einem Fehlschluss und wäre überdies unvereinbar mit dem normativen Gewicht des rechtlich geschützten Anspruchs eines Grundrechtsträgers auf spätere Kenntnisnahme von staatlichen Ermittlungsmaßnahmen, die in seine Rechtsposition eingreifen oder eingegriffen haben.
  1. Die Zurückstellung der Benachrichtigung wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks hat schließlich auch den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Hier ist neben der Dauer der Zurückstellung, der Verfahrenskomplexität und den Bemühungen um einen zügigen Verfahrensabschluss auch die Art und Tiefe erfolgter Eingriffe in Rechtspositionen des Betroffenen einzustellen.

 

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