BGH zur Anwendbarkeit des § 100a StPO auf beim Provider gespeicherte (ruhende) E-Mails

14.10.2020

BGH, Beschluss vom 14.10.2020. Az. 5 StR 229/19. Schlagworte: Telekommunikationsüberwachung, Katalogstraftat, Quellen-TKÜ.
Arek Socha - Pixabay

Leitsätze: 

  1. Zur Bestimmung des erlangten Etwas im Sinne von § 73 Abs.1 StGB in Fällen der Marktmanipulation.
  1. 100a Abs. 1 Satz 1 StPO erlaubt den Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails.

 

Ergänzungen: 

RN13: „Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass Landgericht habe rechtswidrig bei seinem Provider gespeicherte E-Mails verwertet, die bereits vor der Anordnung der Überwachung des betreffenden E-Mails-Accounts nach § 100a Abs. 1 StPO aF versandt worden seien, dringt er nicht durch.“ 

RN14: „(…) § 100a Abs. 1 Satz1 StPO (der § 100a Abs. 1 StPO aF entspricht) [stellt] eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den verdeckten Zugriff auf beim Provider gespeicherte („ruhende“) E-Mails dar[stellt].“ 

RN17: „Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO erfasst auch beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails.“ 

RN22: „Der Eingriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht auf E-Mails beschränkt, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme versandt oder empfangen wurden.“ 

RN23: „Dies folgt schon daraus, dass beim Provider endgespeicherte – von Art.10 Abs. 1 GG geschützte –E-Mails grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Speicherung nach § 94 StPO beschlagnahmt werden dürfen (vgl. BVerfG, aaO, S. 60, 67). Angesichts der im Vergleich zur Beschlagnahme deutlich strengeren Anforderungen muss dieser Zugriff erst recht mit einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO zulässig sein (vgl. auch Brunst,CR 2009, 591, 592).“  

Abgrenzung zur Quellen-TKÜ: 

RN24: Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss aus § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit.b StPO, wonach eine solche zeitliche Einschränkung nur für die sogenannte Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO) gilt. Diese Unterscheidung findet ihre materielle Rechtfertigung darin, dass bei der Quellen-TKÜ –anders als bei der herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung –informationstechnische Systeme des Betroffenen infiltriert werden, womit die Gefahr einer Ermittlung von Persönlichkeitsprofilen einhergeht (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 –1 BvR 370, 595/07; BVerfGE 120, 274, 308 f.). Aufgrund dieser Nähe zu einer Online-Durchsuchung hat der Gesetzgeber für die Quellen-TKÜ besondere Zugriffsanforderungen aufgestellt und ein Verbot für rückwirkende Zugriffe festgelegt; für die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs.1 Satz 1 StPO hat er hingegen keine entsprechenden Regelungen getroffen (vgl. BT-Drucks.18/12785 S. 50, 53; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 6c; aA Grözinger GA 2019, 441, 451, 454).“ 

 

Fundstelle(n):