BGH zum Begriff der schutzlosen Lage und des Ausnutzens bei Sexualdelikten, § 177 StGB

02.07.2020

BGH, Urteil vom 02.07.2020, Az. 4 StR 678/19. Schlagworte: Sexualdelikte, § 177 StGB, Kindesmissbrauch.
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Leitsätze: 

  1. Der Begriff der schutzlosen Lage ist rein objektiv zu bestimmen; einer subjektiven Zwangswirkung der Schutzlosigkeit auf das Tatopfer bedarf es nicht.
  1. Zum Begriff des „Ausnutzens“ im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB.

 

Weitere Kerninformationen:

RN12: Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n.F. setzt voraus, dass der Täter bei einem sexuellen Übergriff im Sinne des §177 Abs.1 oder Abs. 2 StGB eine Lage ausnutzt, in der das Opfer seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert ist. Wie diese Begehungsalternative der mit einer Mindeststrafe von einem Jahr als Verbrechen konzipierten Qualifikation nach der Neufassung des § 177 StGB auszulegen ist, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden. 

RN13: Die Qualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB entspricht in objektiver Hinsicht inhaltlich der Begehungsalternative des Ausnutzenseiner schutzlosen Lage in der durch das 33. Strafrechtsänderungsgesetz eingeführten Vorschrift des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. 

Der BGH führt aus, dass zuletzt aus der Rechtsprechung entwickelt wurde, dass „der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1Nr. 3 StGB a.F. erfordert[e], dass das Tatopfer selbst die Schutzlosigkeit seiner Lage erkennt und unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet.“ 

RN15: „Nach der neuen Gesetzeslage bedarf es dieser einschränkenden Aus-legung auf der objektiven Tatbestandsebene nicht mehr, weil § 177 Abs. 5 StGB eine Nötigung des Tatopfers nicht mehr voraussetzt. Sowohl nach dem Wortlaut der Norm als auch nach der Intention des Gesetzgebers und der Gesetzessystematik ist deshalb für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des §177 Abs. 5 Nr. 3 StGB allein die objektive Schutzlosigkeit des Tatopfers ausreichend. Objektiv liegt –entsprechend der anfänglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.-eine schutzlose Lage daher in der Regel vor, wenn sich das Opfer dem überlegenen Täter allein gegenübersieht und auf fremde Hilfe nicht rechnen kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn nach zusammenfassender Bewertung die Möglichkeiten des Täters, mit Gewalt auf das Opfer einzuwirken, größer sind als die Möglichkeiten des Tatopfers, sich solchen Einwirkungen des Täters mit Erfolg zu entziehen, ihnen erfolgreich körperlichen Widerstand entgegenzusetzen oder die Hilfe Dritter zu erlangen […] Eine gänzliche Beseitigung jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten ist nicht vorausgesetzt […] Erforderlich ist schließlich auch nicht, dass der Täter die schutzlose Lage des Opfers herbeigeführt hat. 

Insofern kann nunmehr auf die alte Rechtsprechung (nicht die o. g., die das Erkennen der Lage voraussetzte) des BGH zurückgegriffen werden, so der BGH in diesem Urteil. 

 

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