BDK-Presseerklärung zur Kriminalitätslage 2024

10.02.2025

Jahrespressekonferenz zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 und die alljährliche Entzauberung der PKS-Interpretation durch den BDK!
Bund_20210128_Absturz_Mediamodifier auf Pixabay

Am 13. Februar 2025 wird es wieder so weit sein. Innensenator Andy Grote wird zusammen mit dem Hamburger Polizeipräsidenten und dem Leiter des Landeskriminalamtes die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vorstellen und dem Zahlenwerk eine Deutung der Kriminalitätslage in der Stadt für das Jahr 2024 abringen. Eine ihm genehme Deutung und auf den Bürgerschaftswahlkampf zugeschnittene, selbstverständlich. Wir ahnen es, das wird eine Erfolgsgeschichte!

Traditionell nutzt der BDK die alljährliche PKS-Pressekonferenz, um darauf hinzuweisen, was sich aus der Statistik tatsächlich ablesen lässt. So wird der BDK nicht müde zu erklären, dass es sich bei der PKS um eine Ausgangsstatistik handelt. Die Polizei Hamburg erfasst dort nur die in Erfahrung gebrachten Straftaten. Es handelt sich demnach um Fälle, die der Polizei entweder durch Anzeige der Bürgerinnen und Bürger oder von Amts wegen bekannt geworden sind. Die Menge Letzterer ist zudem auch noch stark von den Kontrollaktivitäten der Polizei abhängig. Denn dort wo ich nicht hingucke, stelle ich auch nichts fest. Weshalb man von diesen Fällen auch von Kontrolldelikten oder Dunkelfeldkriminalität spricht.

Straftaten sollten im Idealfall von der Kriminalpolizei „durchermittelt“ sein, wenn sie an die Staatsanwaltschaft abverfügt werden. Der Wille ist regelmäßig da, die Kapazitäten sind es auf polizeilicher Seite zumeist nicht. Die PKS sagt damit rein gar nichts darüber aus, zu welchem Ergebnis ein Strafverfahren letztendlich führt. Staatsanwaltschaft und Gerichte entscheiden ggf. abweichend. Dieser Umstand findet bei der innenpolitischen Interpretation der PKS jedoch wiederkehrend keine Berücksichtigung. Tatsächlich dürften zahlreiche, nach Meinung der Polizei aufgeklärte Straftaten bereits nach einer Befassung durch die offenkundig kaputtgesparte Staatsanwaltschaft Hamburg, weder aufgeklärt noch angeklagt oder anderweitig justiziell entschieden (z.B. durch einen Strafbefehl) werden.

So hatte zu Beginn des vergangenen Jahres der Deutsche Richterbund festgestellt, dass aufgrund von Personalnot in der Justiz bundesweit über 900.000 Strafverfahren unbearbeitet in den Aktenschränken und auf den Schreibtischen der deutschen Staatsanwaltschaften liegenbleiben mussten. Die Lage in Hamburg soll nach Feststellung des Hamburgischen Richtervereins besonders dramatisch gewesen sein. In einem Zwei-Jahres-Vergleich sei die Anzahl der noch zu bearbeitenden Fälle um 70 Prozent auf insgesamt 39.000 Fälle gestiegen[1]. Wenn die Herrin der Strafverfahren, die Staatsanwaltschaft, durch Mangel an Ressourcen nur noch bedingt arbeitsfähig ist, was bedeutet dies für die Kriminalitätsbekämpfung und damit auch für die Kriminalitätsentwicklung in der Stadt?

Will die Innenpolitik, deren Schwerpunktsetzung traditionell eher bei der uniformierten Polizei liegt, diese Frage überhaupt beantworten? Natürlich nicht! Andernfalls wären man der schon sehr angestaubten Forderung des BDK, die PKS mit der bei der Staatsanwaltschaft geführten Statistik zu synchronisieren, um hieraus ein tauglicheres Bild zur Kriminalitätslage zu gewinnen, längst nachgekommen.

Im Wahlkampfmodus lancierte der Innensenator ausgewählte Erfolgsbotschaften zur PKS bereits vorab an die Medien. So sind die Hamburger Bürgerinnen und Bürger bereits im November darüber informiert worden, dass nicht nur die Zahl der Straftaten in Hamburg insgesamt zurückgegangen sei, sondern auch die Zahl der Verbrechen in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 um mehr als drei Prozent im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum gesunken ist[2].

Der Senat nahm mit diesen frühen Feststellungen zur Kriminalitätslage des Jahres 2024 bewusst in Kauf, dass die eigentlich auf Jahresauswertungen ausgelegte Aussagekraft der PKS noch nicht qualitätsgesichert und damit nicht valide gewesen ist. Für eine annähernd aussagekräftige Validität ist zunächst ein Datenabgleich mit den Daten des Bundeskriminalamtes vorauszusetzen. Dieser erfolgt bekanntlich erst zu Jahresbeginn. Es wäre somit zu hinterfragen, wie der Senat zu den im November getroffenen Aussagen gekommen ist. Hat man dem Wahlkampf geschuldet gar mutwillig auf Lücke gesetzt? Wer den Erfolg seiner politischen Arbeit nun über die nur sehr eingeschränkte Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik zu definieren sucht, muss jetzt mit der folgenden Entzauberung der PKS-Interpretation durch den BDK leben. Und zwar im Generellen als auch im Konkreten:

Generell kann festgestellt werden: Die PKS ist und bleibt bestenfalls ein Tätigkeitsnachweis der Polizei und keine fundierte Abbildung der Kriminalitätslage des vorangegangenen Jahres. Tatsächlich liegt das Interesse der Innenpolitik im Wesentlichen bei den Fallzahlen und der Aufklärungsquote. Erstere sollten aus Sicht der jeweiligen Regierungsparteien möglichst sinken, Letztere darf gerne steigen. Passen die Zahlen nicht, wird’s passend gemacht. Ein tatsächlicher Anstieg der Fallzahlen wird auf eine verstärkte Schwerpunktsetzung zurückgeführt. Und schon kann ein Erfolg vermeldet werden. Die optimistische Formulierung, dass lediglich das Hellfeld vergrößert wurde, lenkt von einer Steigerung der Fallzahlen ab. Und wo keine „alternativen Fakten“ aufgeboten werden können, bleibt am Ende häufig der Verweis auf die wachsende Stadt. Denn das leuchtet jedem ein: Mehr Menschen, mehr Straftaten! Sinken die Fallzahlen, ist dies natürlich ebenfalls der Erfolg einer vorgenommenen Schwerpunktsetzung. Eine Vergrößerung des Dunkelfeldes ist selbstredend keine Erklärungsoption. Wie auch immer, alle Entwicklungen scheinen ein Erfolg der Vortragenden zu sein. Solange die Interpretation gut klingt, scheinen die Zahlen fast egal.

Worauf ist der vom Senat im November vorausgesagte und jetzt zur Veröffentlichung der PKS wohl eingetretene Straftatenrückgang also konkret zurückzuführen?

Dieses Jahr zeigt beispielhaft auf, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stets kritisch zur PKS anmerken: Dass die PKS eine Arbeitsstatistik und damit in erster Linie ein Abbild der Veränderung in der Erfassung (auch durch Strafrechtsänderungen) sei und auf Abarbeitungsweisen der Vorgänge und notwendigen Qualitätssicherungsmaßnahmen der Statistikpflege zurückzuführen ist. Mehr nicht!

Für den diesjährigen eingetretenen statistischen Rückgang an Straftaten dürften im Konkreten folgende drei Aspekte ursächlich sein:

1. Hoher Anteil des Rückgangs an Fallzahlen fällt auf Entkriminalisierung von Cannabis zurück!

Am 22. März 2024 hat der Bundesrat das zuvor vom Bundestag beschlossene neue Cannabisgesetz beraten und gebilligt. Die Strafverfolgung des nach wie vor strafbaren Cannabishandels durch die Polizei wurde durch das Cannabisgesetz erheblich erschwert. Dies führte dazu, dass erheblich weniger Anzeigen in diesem Bereich gefertigt und somit erheblich weniger Strafverfahren geführt werden konnten. Sollte dies das tatsächliche Ziel der ehemaligen Ampelkoalition bei der Verabschiedung des neuen Cannabisgesetz gewesen sein, so muss festgestellt werden: Ziel erreicht! Dass der weiterhin illegale und gewinnträchtige Cannabishandel durch das Cannabisgesetz eingedämmt werden konnte, bleibt hingegen ein Wunschtraum der ehemaligen Ampelparteien. Tatsächlich ist das Cannabisgesetz in seiner aktuellen Form ein Konjunkturmotor für die Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik und Triebfeder für die zunehmende Gewalt in Deutschland. Was sich in Hamburg insbesondere an den zunehmenden Schießereien im Milieu der Rauschgiftkriminalität erkennen lässt.

2. Vorjahrseffekt durch „Crash-Tage“ fällt 2024 weg!

Im Jahr 2023 veranstaltete die Leitung des Landeskriminalamtes die sognannten „Crash-Tage“ im LKA 1, der Abteilung für Regionale Kriminalitätsbekämpfung. Hinter dieser bislang einzigartigen Maßnahme verbarg sich Folgendes:  Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der größten Abteilung des LKA, von der Abteilungsleitung, über den Abteilungsstab und die verschiedenen Leitungsebenen hinweg bis hin zur Sachbearbeitung ließen ihre originären Aufgaben ruhen, um tausende, dem Personalmangel im LKA geschuldete, auf Halde liegende Ermittlungsverfahren in konzentrierten Wochenendaktionen abzuarbeiten. Die „Crash-Tage“ im LKA lösten also nicht die Ursache für das Haldenproblem im LKA 1, sie führten aber dazu, dass tausende, bis zu diesem Zeitpunkt in der Bearbeitung zurückgestellte Ermittlungsverfahren abgearbeitet und als erledigte Fälle in die PKS eingegeben wurden. Dieser Fallzahlenzuwachs ist daher auch in der Jahrespressekonferenz zur Kriminalitätslage des Jahres 2023 am 8. Februar 2024 „transparent“ gemacht worden[3]. Folglich darf erwartet werden, dass ein etwaiger Fallzahlenrückgang im Jahr 2024 ebenso auf der kommenden Jahrespressekonferenz mit den nun nicht erneut stattgefundenen „Crash-Tagen“ in Verbindung gesetzt wird.

3. Qualitätssicherung Internetstraftaten (PKS-Auslandstatistik) geht erst jetzt an den Start

Ermittlungen zu Straftaten, die mit dem oder im Internet begangen werden, enden überwiegend an zumeist dynamisch vergebenen, in- und ausländischen IP-Adressen. An wen die betreffenden IP-Adresse zum Tatzeitpunkt vergeben worden waren, lässt sich aufgrund von fehlenden Speicherfristen (im Inland) oder wenig erfolgversprechenden Ermittlungsgängen etwaiger Rechtshilfeersuchen (im Ausland) in den wenigsten Fällen feststellen. Für die absolute Mehrheit der mittels und im Internet begangenen Straftaten (z.B. Kinderpornograhie, Betrug, Hasskriminalität) lässt sich somit nicht feststellen, ob die Täterinnen und Täter überhaupt in Deutschland gehandelt, sprich in Deutschland hinter einem internetfähigen Gerät gesessen haben. All diese Taten finden bislang keinen Einzug in die PKS, sondern landen, wenn überhaupt, ohne Qualitätssicherung in einer Erhebung von Auslandsstraftaten. Allein bei der riesigen Menge unaufgeklärter Fälle an Internetbetrugsdelikten oder Straftaten, die der sogenannten Hasskriminalität zugeordnet und mittels des Internets werden, wie z.B. Bedrohungen, Beleidigungen und Volksverhetzung, wäre zur Abbildung der tatsächlichen Kriminalitätslage die qualitätsgesicherte Erfassung in der PKS dringend erforderlich.

Bleibt festzuhalten: Die Betrachtung der gesamten Straftatenentwicklung sowie der gesamten-Aufklärungsquote ist weiterhin kein Qualitätsnachweis für die polizeiliche Arbeit. Die Aufklärungsquote ist im Wesentlichen ein Effekt der Statistik – einerseits der Dunkelfeldproblematik, andererseits der Erfassungskriterien der Polizei.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter rät deshalb, sich nicht von sinkenden Fallzahlen der PKS blenden zu lassen, sondern die seit langem bestehenden strukturellen Defizite bei der Hamburger Kriminalpolizei und der Justiz anzugehen und die begrenzten Ressourcen bis dahin möglichst prozessökonomisch und transparent einzusetzen. Als Hoffnungsschimmer zeichnet sich dabei die von Innen- und und Justizbehörde angedachte „Gemeinsame Eingangsstelle“ für die schnelle Abarbeitung von einfach gelagerten Straftaten ab. Diese bisher durch eine nebenamtliche AG getragene Konzeptidee, welche Anleihen in dem Konzept der „Kriminalpolizeilichen Strafsachenstelle“ des BDK, Landesverbands Hamburg, findet[4], und durch Vertreterinnen und Vertreter der Innen- und Justizbehörde betrieben wird, trägt die Hoffnung, den drohenden Kollaps der Strafverfolgung tatsächlich abzuwenden. Und wie heißt es so häufig: Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt!

[1] https://www.richterverein.de/presse/nachrichten/nachricht/news/hriv-pressemitteilung-nr-2-2024

[2] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Polizei-Zahl-der-Straftaten-in-Hamburg-geht-zurueck,kriminalitaet540.html oder https://www.welt.de/regionales/hamburg/article254454448/Straftaten-in-Hamburg-Messerangriffe-Raub-Schiessereien-die-Kriminalitaetstrends-2024.html

[3] https://www.polizei.hamburg/resource/blob/790480/d5835c6e0c69364afedada16dd4a2554/pks-2023-handout-do-data.pdf

[4] https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/konzept-der-kriminalpolizeilichen-strafsachenstelle-krimstra-1

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