Artikel: Cannabis - Polizei ist dem Kampf gegen das Kraut nicht gewachsen
12.04.2018
Eine Taskforce zur Bekämpfung öffentlich wahrnehmbarer Drogenkriminalität hat die Polizei in Hamburg gegründet. Alle paar Wochen werden Pressemitteilungen verschickt. So und so viele Menschen seien überprüft worden, heißt es darin. Gegen so und so viele Personen sei ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden. Imposante Zahlen, häufig im dreistelligen Bereich, die sogleich ihren Weg in die Hamburger Presse finden. Es klingt nach einem starken Staat, der hart durchgreift gegen das Verbrechen.
Im Hamburger Schanzenpark ist davon nichts zu spüren. Am Tag nach einer dieser Mitteilungen stehen die Dealer wieder im Park. „Alles gut?“, fragen sie oder pfeifen Passanten herbei. An die 15 sind es. Ihr Wortschatz reicht gerade einmal für Geschäftsanbahnung und -abwicklung. In kleinen Tüten haben die jungen Männer die Ware dabei. Meist nur so viel, dass die Polizei sie bei Kontrollen wieder laufen lassen muss.
Die Kunden strömen aus der nahen S-Bahn-Station, versorgen sich mit Stoff – vorrangig Cannabis –, verschwinden im Schanzenviertel oder fahren mit der Bahn irgendwo anders hin zum Feiern. Der Park ist Durchgangsstation für fast alle, die sich in Hamburg mit Drogen versorgen wollen, die der Staat verbietet. In Hamburg weiß das jeder.
Orte wie den Schanzenpark gibt es in allen größeren deutschen Städten. Das Viertel beispielsweise in Bremen oder der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Mit einer Null-Toleranz-Strategie versuchte der frühere CDU-Innensenator Frank Henkel in Berlin den öffentlichen Raum zurückzuerobern und wieder unter die Kontrolle des Staates zu bringen. Er scheiterte, der rot-rot-grüne Folgesenat stellte das Projekt ein. Der „Görli“ ist wieder in der Hand der Dealer.
Die Dealer sind der kleine sichtbare Teil dieser Parallelwirtschaft. Die wahren Herrscher sind aber andere. Schattenmänner, die über eine ausgeklügelte Infrastruktur walten und so den Nachschub sicherstellen. Wer gegen sie vorgeht, kämpft gegen Windmühlen. „Der Politik geht es bei ihrem Handeln um das Sicherheitsbewusstsein der Bürger“, sagt Jan Reinecke. Er ist Landesvorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten in Hamburg und weiß: „Bürger, die sich sicher fühlen, sind zufriedene Wähler.“
Cannabis ist häufig „Made in Germany“
Fortschritte mache die Polizei so aber keine. „Egal, wie viele Dealer wir hochnehmen: Auf den Markt hat das keinen Einfluss. Es ist einfach zu viel da.“ Harte Drogen wie Kokain werden häufig über den Hamburger Hafen eingeschleust. Cannabis hingegen ist zu einem nicht unerheblichen Teil „Made in Germany“. Immer wieder entdecken Ermittler Plantagen – mal in verlassenen Scheunen, mal in Kellern oder auf Dachböden, oder direkt in der Wohnung. Allein in Norddeutschland waren es im vergangenen Jahr mindestens 150 solcher professionellen Farmen, die aufflogen. Tausende Pflanzen wurden beschlagnahmt und vernichtet. In den meisten Fällen war es aber nicht die kriminalistische Arbeit, die zum Erfolg führte, sondern der Zufall.
Das Problem aus dem Sichtfeld der Bevölkerung verdrängen – so formuliert Reinecke den Kampf der Polizei gegen Drogenkriminalität. Statt Strukturen zu sprengen, blieben die Ermittler an der Oberfläche. „Diese Einschätzung ist von einem Gewerkschafter sicher nicht überraschend, aber letztlich fehlt es für eine effektive Bekämpfung an Ausstattung und vor allem an Personal.“
Es gibt starke Befürworter einer Liberalisierung von Cannabis. Die FDP und auch die Grünen im Bundestag kokettieren damit. Die Liberalen sprechen sich für Cannabis-Modellprojekte aus, bei denen das Rauschmittel kontrolliert abgegeben wird. In der Einleitung ihres Antrags heißt es: „Der Kampf gegen den Cannabis-Konsum durch Repression ist gescheitert.“ Der Staat soll die Kontrolle zurückerlangen, indem er selbst zum Dealer wird.
Deutschland vor politischer Zeitenwende?
Der Düsseldorfer Professor Justus Haucap interessiert sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht für Cannabis. Und er glaubt, dass Deutschland vor einer drogenpolitischen Zeitenwende steht. Ganz einfach deswegen, weil andere vorangehen: „Die Liberalisierung in Kanada und Kalifornien wird zu einem Umdenken in Deutschland führen. Wir werden sehen, dass Kanada nicht zum Drogen-Mekka mutiert, nur weil Cannabis frei verkäuflich ist.“
Haucap will untersuchen, welche fiskalischen Auswirkungen eine Liberalisierung in Deutschland haben könnte. Eine entsprechende Steuer auf Cannabis wie auf andere Suchtmittel wie Alkohol oder Tabak könnte viel Geld in den Staatshaushalt spülen, schätzt Haucap. „Ich halte ein Steueraufkommen von zwei bis drei Milliarden Euro für absolut realistisch.“ Zu hoch dürfte die Steuer allerdings nicht ausfallen, dann verfehle sie ihren Zweck, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Hinzu kämen „signifikante Einsparungen“ bei Justiz und Polizei. „Allein schon deshalb, weil sich die Ordnungshüter wieder sinnvolleren Tätigkeiten widmen können als Cannabis-Konsumenten zu verfolgen.“
Der Hamburger Kriminalbeamte Reinecke will sich bei der Frage der Legalisierung nicht festlegen. Das müsse der Gesetzgeber entscheiden, sagt der Staatsdiener. Stand jetzt aber sei: „Das Gesetz schreibt der Polizei die Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität vor. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, muss die Polizei entsprechend ausgestattet sein, und das ist sie definitiv nicht.“
Zumindest offiziell gibt sich die Polizei in Hamburg siegessicher, was den Kampf gegen Cannabis und Co. angeht: „Die Schwerpunkteinsätze und der damit einhergehende Kontrolldruck führen zu Verunsicherungen in der Szene und somit mittelfristig bis langfristig zu einer Reduzierung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“, heißt es aus der Pressestelle. Es sei bereits festzustellen, dass die Zahl der Betäubungsmittelhändler und der Konsumenten an den Brennpunkten zurückgehe.
Im Schanzenpark gehen sie ungeachtet dessen ihrer Arbeit nach. „Geht’s gut?“, fragt einer und stört sich nicht an den Sirenen der vorbeifahrenden Polizeitransporter.
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