Artikel: Gewalt beim G20-Gipfel "Wie im Krieg"

09.07.2017

Beim G20-Gipfel eskalierte erneut die Gewalt. Ein Kriminalist sagt: "Die Politik trägt die alleinige Verantwortung für die Zerstörung in der Stadt. Hamburg hätte niemals Austragungsort des G20-Gipfels sein dürfen."(Von Nicolai Kwasniewski, Dominik Peters und Ansgar Siemens)
Artikel: Gewalt beim G20-Gipfel "Wie im Krieg"

Die meisten Hamburger Bürger würden nach den Worten des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) im täglichen Leben weit weniger vom G20-Gipfel mitbekommen als vermutet. "Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist", so Scholz Ende Juni.

Was für ein fataler Irrtum!

Am frühen Donnerstagabend sieht sich die Hamburger Polizei zu einer Klarstellung veranlasst. "Es wurde weder der Notstand noch der Katastrophenfall ausgerufen", teilen die Beamten via Twitter mit. Man habe, das soll die Botschaft sein, nicht die Kontrolle verloren über das, was in der Hansestadt an Tag eins des G20-Gipfels passiert. Auch wenn Zweifel angebracht sein könnten.

Es sind Bilder von Zerstörung und entfesselter Gewalt, die das Treffen der 20 mächtigsten Staatenlenker von Beginn an überschatten. Sie zeigen vermummte Autonome, die im Hafenbezirk Altona marodieren. Weinende Autofahrer, die vor ausgebrannten Wracks stehen. Wütende Demonstranten, die auf St. Pauli ihren Hass auf die Polizei herausschreien.

Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilen die Ausschreitungen. Innensenator Andy Grote (SPD) spricht von einer "Spur der Verwüstung", die sich seit Donnerstag durch die Stadt ziehe. Seit die Polizei gewaltsam die Demo "Welcome to Hell" auflöste, weil Autonome im schwarzen Block sich weigerten, ihre Vermummung abzulegen.

Es fliegen Böller, Steine, die Polizei setzt Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Die schwarz gekleideten Kriminellen verteilen sich in Guerillatrupps in den Straßen. Seither zerstören sie, was ihnen in den Weg kommt. Insgesamt seien etwa 3500 Gewalttäter unterwegs, sagt die Polizei. Bisher wurden knapp 200 Beamte verletzt.

In der Nacht zu Freitag brennen zahlreiche Autos, Pflastersteine fliegen in Schaufenster, Böller explodieren. Auf der noblen Elbchaussee, wo die Krawalltrupps am Morgen wüten, reagieren die Menschen geschockt. "Es war schlimm, es war wie im Krieg", sagt eine Anwohnerin.

An einer Stelle werfen Randalierer Molotowcocktails auf Polizisten, mit einer Leuchtrakete wollen sie einen Hubschrauber der Bundespolizei attackieren. Es gibt wilde Szenen, in denen Polizisten Autonome jagen und umgekehrt. Die Polizei fordert deutschlandweit mehrere Hundertschaften Verstärkung an.

Intern ist die Lage offenbar äußerst angespannt. "Die Lage fordert die Hamburger Polizei bis aufs Äußerste und wird noch lange nicht unter Kontrolle sein", sagt Jan Reinecke, Hamburg-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. "Die Politik trägt die alleinige Verantwortung für die zahlreichen verletzten Polizeibeamten und die Zerstörung in der Stadt." Für ihn sei klar, so Reinecke: "Hamburg hätte niemals Austragungsort des G20-Gipfels sein dürfen."

Am Vormittag versuchen Demonstranten immer wieder, mit Sitzblockaden ausländische Delegationen aufzuhalten - und werden von Polizisten weggetragen. Die Stimmung ist explosiv. Ein Videoclip zeigt, wie ein Diplomatenfahrzeug plötzlich Gas gibt - und fast einige Blockierer umfährt.

Im Stadtteil Altona liefert sich die Polizei Gefechte mit Gewalttätern, die laut offiziellen Angaben mit Eisenstangen und Molotowcocktails auf die Beamten losgehen. Zugleich laufen auf dem Kiez mehrere Demonstrationen gewaltfrei ab.

Die Grenzen zwischen friedlichen Demonstranten, Krawalltouristen und Militanten verwischen. Auf St.Pauli skandiert eine nicht vermummte Menge: "Ganz Hamburg hasst die Polizei." Ein Demonstrationszug mit mehreren tausend Teilnehmern zieht am Nachmittag von der Reeperbahn zu den Landungsbrücken.

Dazwischen immer wieder kleine Gruppen Vermummter - ganz in schwarz und mit Handschuhen, um Steine zu werfen. Die Versammlung auf der Kreuzung vor den Landungsbrücken wirkt friedlich und fröhlich. Kinder sind dabei und Ältere. Musik spielt, einige spielen Fußball. Zugleich wird jeder Steinwurf der Autonomen mit Gejohle und Applaus bedacht.

Eine Frau, die mit zwei Freundinnen ihren 70. Geburtstag feiert, sagt: "Irgendwie finde ich es geil." Die Polizei meldet eine "massiv polizeifeindliche Stimmung". Und räumt den Platz mit Wasserwerfern. Zugleich sichert sie die nahe Hafencity mit der Elbphilharmonie hermetisch ab. In dem Konzerthaus findet am Abend ein Konzert für die Gipfelgäste statt.

Im Schanzenviertel, im traditionellen Zentrum der linksextremen Szene, gibt ein Polizist am Freitagabend einen Warnschuss ab. Nach offiziellen Angaben haben zuvor zwei Männer einen Dritten zusammengeschlagen und treten auf ihn ein. Als die Angreifer auch dann nicht von ihrem Opfer ablassen, als der Zivilfahnder sich zu erkennen gibt, greift der zur Waffe.

Die Polizei ist in Alarmbereitschaft, sichert mit Hundertschaften das autonome Zentrum Rote Flora. Auf einmal kommt der schwarze Block durch die Bartelsstraße gerannt, die Polizei hinterher. Flaschen fliegen, eine Detonation ist in der Ferne zu hören. Viele im schwarzen Block sind noch Teenager, junge Männer ohne Bartwuchs in schwarzen Jacken.

Sie sind panisch, rennen rasch davon. Mittendrin laufen Touristen mit Rollkoffern - wohin sie zu diesem Zeitpunkt wollen, ist unklar. Die älteren Männer im schwarzen Block rufen die Teenager in ihren Reihen auf, ruhig zu bleiben. Einige sprechen Französisch, sind offenbar Krawalltouristen.

An einer Ecke räumen die Restaurantbesitzer die Tische von der Straße, an denen eben noch Gäste Schnitzel mit Pommes aßen. Es wird keine ruhige Nacht werden in der Linkenhochburg Hamburg.

Weblink:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gewalt-beim-g20-gipfel-wie-im-krieg-a-1156592.html

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