4. Grüner Polizeikongress 2015: Polizeiarbeit ohne Generalverdacht - Ideen - Konzepte - Neue Ermittlungsmethoden
08.04.2015
Am 21.03.2015 nahmen André Schulz, Bundesvorsitzender des BDK, und drei Mitglieder der Jungen Kripo des BDK im Verband BKA am 4. Grünen Polizeikongress teil, der in den Gebäuden der Universität Hamburg unter Beteiligung von 180 angemeldeten Teilnehmern stattfand. Nach der Begrüßung durch den Veranstalter, Jan-Philipp Albrecht (Mitglied des Europäischen Parlaments) leiteten Katharina Fegebank, Parteivorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen in Hamburg, und Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen, in die Veranstaltung ein. Insbesondere Frau Göring-Eckardt stellte fest, dass sich Polizei und Grüne in den letzten Jahrzehnten aufeinander zu bewegt hätten, auch, wenn es sich nicht um eine Liebesgeschichte handeln würde. Sie betonte, dass gute Polizeiarbeit auf drei Eckpfeilern basiere: dem Handeln der Polizei gemäß Recht und Gesetz, auf guter Ausbildung und Schulung der Beamten, sowie auf einer ausreichenden personellen sowie materiellen Ausstattung.
Keynote von Prof. Dr. Bernd Belina
Die erste Keynote, gehalten durch Prof. Dr. Bernd Belina, Goethe-Universität Frankfurt am Main, trug den Titel “Wege in den Generalverdacht und wieder hinaus? Was wir aus der Geschichte des Umgangs mit urbanen Problemen und Protesten lernen können”. Prof. Belina begann mit der Definition des Generalverdachtes als „Aufgeben der Unschuldsvermutung“. Dies geschähe beispielsweise, wenn ein „gefährlicher Ort“ mit einer „abstrakten Gefahr“ kombiniert und so ein Gefahrengebiet eingerichtet würde. Prof. Belina führe aus, dass Maßnahmen wie das Durchführen von Personenkontrollen in polizeilichen Gefahrengebieten (wie z. B. in Hamburg St. Pauli im Januar 2014) von den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nicht als Kontrolle, sondern als Sanktion wahrgenommen würden. Die Polizei überschreite somit ihre Exekutivbefugnisse. Ähnliche als Sanktionen empfundene präventivpolizeilichen Maßnahmen stellten der Platzverweis und das Betretungsverbot dar.
Vor allem betonte er jedoch die Notwendigkeit empirischer Polizeiforschung, da ohne empirische Grundlage keine profunden Aussagen getroffen werden könnten. Er schloss mit dem Fazit, die Polizei solle generell keine Präventionsmaßnahmen durchführen und die Sanktionierung von strafbarem Verhalten der Judikative überlassen.
Keynote von BKA-Präsident Holger Münch
Die zweite Keynote, gehalten von Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, trug den Titel “Kriminalitätsbekämpfung 2.0 – Strafverfolgung in einer globalisierten und digitalen Welt”. PR Münch führte aus, dass Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in dem natürlichen Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit lebten. Dennoch sei das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit überwiegend positiv. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürgern basiere auf Kompetenz, Wohlwollen und Integrität der Polizei. Er betonte, dass insbesondere die Integrität durch Selbstkontrollen innerhalb der Polizei aufrechterhalten werden müsse.
Als eine der größten gegenwärtigen Herausforderungen für die Polizei bezeichnete PR Münch die Wandlung bestehender Formen der Kriminalität durch den Einfluss von Cybercrime. Um dieser Problematik Herr zu werden, reichten die bestehenden Strukturen und Formen der Polizeiarbeit nicht aus. PR Münch formulierte drei Dinge, die er als Polizeiarbeit 2.0 bezeichnete:
1. Es müsse eine “Cyberfähigkeit” der Beamtinnen und Beamten hergestellt werden – Gleiches gelte auch für die Justiz.
2. Die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung müsse deutlich verbessert werden, da staatliche Grenzen für Cybercrime nicht existierten.
3. Das Know-how und die vorhandenen Ressourcen müssten gebündelt werden. Erst durch die Einrichtung entsprechend spezialisierter Zentren könnten die Herausforderungen durch Massen- und kryptierte Daten, anonyme Täter z. B. in TOR-Netzwerken, oder durch die Flüchtigkeit der Daten angegangen werden.
In seinem Fazit betonte PR Münch, dass trotz der Komplexität des Cyberraums die Grundsätze polizeilicher Arbeit, Transparenz und Kontrolle, nicht verletzt werden dürften.
Workshops
In der anschließenden Workshopphase teilte sich das Plenum in drei Gruppen. Jedes Thema wurde von mehreren Referenten diskutiert, bevor anschließend das nun gedrittelte Plenum in die Diskussion eingebunden wurde.
1. Workshop: Polizei und Rechtsstaatlichkeit
Der erste Workshop beschäftigte sich mit dem Thema Polizei und Rechtsstaatlichkeit. Die sehr lebhafte und facettenreiche Diskussion ging von Möglichkeiten zur Kontrollierbarkeit polizeilichen Handelns über die Problematik von Gefahrenprognosen nach dem Versammlungsgesetz und die Dokumentation von Vernehmungen bis hin zur „Verpolizeilichung“ des Ermittlungsverfahrens und der politischen Instrumentalisierung der Polizei. Konkret wurde die Diskussion gerade beim letztgenannten Punkt, so wurde die Notwendigkeit von Instrumentalisierung der Polizei zu politischen Zwecken (Bsp. Umsetzung des Dubliner Übereinkommens) der Gefahr von Instrumentalisierung durch Gewaltenverschränkung (bei fehlender Souveränität der Exekutive) gegenübergestellt.
2. Workshop: Alternativen zum Generalverdacht
Der zweite Workshop beschäftigte sich intensiv mit der Thematik des Generalverdachtes, insbesondere in den Bereichen „Rocker“, „Fußball“ und „Gefahrengebiete“. Problematisiert wurde dabei vor allem die häufig unbestimmte und intransparente Speicherung von Personendaten, die politische Instrumentalisierung der Polizei und die bewusste Stimmungsmache gegen bestimmte Subgruppen. Alternativvorschläge zur Polizei ohne Generalverdacht gab es in der anschließenden Gruppendiskussion viele, jedoch keine konkreten. Aufgefordert wurde zu einem verstärkten Dialog zwischen Polizei und der (betroffenen) Zivilgesellschaft und einer Erhöhung von Transparenz der notwendigen Rechtsnormen sowie ihrer Umsetzung.
3. Workshop: Beziehung zwischen Polizei und BürgerInnen
Die Referenten des dritten Workshops diskutierten insbesondere das Konzept der „Interkulturellen Kompetenz“ und die Frage, ob und wie die Polizei mit dem Bürger in Kontakt treten könne. Bereits in Bezug auf die Worte „Interkulturelle Kompetenz“ wurde hinterfragt, ob diese griffige Bezeichnung möglicherweise irre führend sei und besser durch „Kontaktkompetenz“ ersetzt werden müsse. Fraglich sei nicht erst der Umgang mit anderen Kulturen, sondern bereits der Umgang mit „Anderen“ – was für einen bayrischen Abiturienten aus dem ländlichen Raum bereits im Umgang mit einem durchschnittlichen norddeutschen Großstädter der Fall sein könnte. Insbesondere jedoch wurde mehr Empirie gefordert. Die Forschung, sei sie innerpolizeilich oder von der freien Wissenschaft geführt, könne nur Ergebnisse liefern, wenn es umfangreiche Studien gäbe. Hier bestünde – gerade auch beim Thema „Interkultureller Kompetenz“ – ein großes Defizit.
Abschlusspodium
In der abschließenden Diskussion, die erneut vor dem Plenum stattfand, wurden die Ergebnisse der Workshops zusammengefasst und allen Teilnehmern vorgestellt.
Besonders wichtig war den Diskussionsteilnehmern, hervorzuheben, dass aus ihrer Sicht die Ausstattung der Polizei und die wachsenden Aufgaben auseinanderliefen. Die Frage, ob ggf. Teile polizeilicher Arbeit durch private Träger übernommen werden könnten, wurde deutlich verneint.
Die „Rübe“ Vorratsdatenspeicherung solle ihrer Meinung nach nur kaschieren, dass diese „Rübe“ mit einer Schwarzen Null, d. h. ohne neuen Stellen und mit schlechter Ausrüstung, durch die Polizei zu zahlen sei. Gerade die Vorratsdatenspeicherung sei jedoch nicht die eierlegende Wollmilchsau, für die manche Politiker sie hielten, und daher aus grüner Sicht nicht tragbar.
Eine Forderung des Podiums, die sich herauskristallisierte, scheint die Forderung um Einführung eines/r unabhängigen Ombudsfrau/mannes für die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger zu sein. Diese/r solle Transparenz, Vertrauen und Kontrolle in die Polizei schaffen, verstärken und erhalten.
Die Mitglieder der Jungen Kripo verließen schließlich den Veranstaltungsort nach längeren Gesprächen mit anderen Teilnehmern um die Erfahrung reicher, dass die Diskussion über gute Polizeiarbeit, wenn sie offen und angeregt geführt wird, immer eine Bereicherung ist. Auch, wenn in einzelnen oder mehreren Bereichen inhaltliche Unterschiede zutage treten, die auch ein Kongress nicht angleichen kann, ist gerade das Herausarbeiten dieser Meinungsverschiedenheiten ein erster Schritt zur Klarheit.